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Vom Arabischen Frühling und der Lage in der islamischen Welt

CELLE. Professor em. Dr. Dr. Peter Antes hatte gestern in seinem eindringlichen Vortrag das Thema „Islam und Säkularisierung“ behandelt. In klaren Worten analysierte Antes den geschichtlichen Hintergrund, um dem Zuhörer das Komplexe Geschehen näher zu bringen. Die gut 160 Besucher im Beckmannsaal lauschten gebannt Antes’ Vortrag, der ebenso die Komplexität versinnbildlichte als auch informativ war.

Säkularisierung stammt aus dem lateinischen saeculum und würde im Deutschen angemessen mit „Verweltlichung“ widergegeben werden.

Prof. em. Dr. Dr. Peter Antes beleuchtete zu Beginn den geschichtlichen Hintergrund und blickte auf das 19. Jahrhundert zurück. Die damaligen Militärs und Kolonialmächte strebten die Trennung von dem Glauben und dem Staat nach den europäisch gesellschaftlichen Modellen an. Dias alles war nach der groß angelegten Kolonialisierung durch die Länder Großbritannien und Frankreich nach deren Verständnis notwendig. Deren auch technischen Überlegenheit hatten die jeweiligen Bevölkerungen nur wenig entgegen zu setzen. Die missverstandenen Glaubensmehrheiten wollten daher die Mächte mit ihren eigenen Waffen schlagen. „Wir müssen in Europa in die Schule gehen“, kommentierte Prof. em. Dr. Dr. Peter Antes die Bestrebungen aus den Kolonien und islamisch geprägten Ländern.

So geschah es zum Beispiel in den Ländern Ägypten, dem Iran und der Türkei, die in einer Reformbewegung ihr Schulsystem anpassten. Man richtete sich nach den Lehrbüchern des Westens und sollte eine europäische Sprache lernen. Mit der Zeit floss mit diesen Maßnahmen westliches Gedankengut in die Bevölkerung ein, wobei sich die Fronten der Befürworter einer kompletten westlichen Orientierung und einem reinen islamischen Staat bildeten.

Die Türkei ist ein gutes Beispiel, die nach dem ersten Weltkrieg das Schweizerische Zivilgesetzbuch übernahm. Ganz nach dem Motto “Religion und Staat“ statt „Religion ist Staat“ entzog man dem Islam den Einfluss. Mit dem Austausch ganzer Rechtsgebiete und den übergestülpten Einzelgesetzen entstand eine Mischgesetzgebung. Das Problem in jener Zeit war laut Prof. em. Dr. Dr. Peter Antes, dass sich dem Westen zugewandte und islamorientierte Politiker in den Regierungen blockierten. In diesen angestrebten demokratischen Systemen waren Mehrheiten bei den Meinungsunterschieden schwierig, gar unmöglich. Die einzelnen Lager beharrten auf ihrer Linie, denn keiner favorisierte das bestehende Übergangssystem. Sollte es einer Seite gelingen, würden sie das bestehende Konstrukt verwerfen und rigoros ihre Richtung einschlagen. So sind aber beide Fronten unzufrieden.

Doch die türkische Bestrebung des Filz-Hut- und Schleierverbots stieß vehement auf Widerstand. Es stand laut der Bevölkerung in keinem Gleichgewicht. Obendrein wurde allein das Tragen westlicher Kleidung nicht als ausreichend im Ausland angesehen. Ein Arabischstämmiger hatte in den Augen der westlichen Welt immer noch einen niedrigeren Stellenwert. Sie versuchten stets den Westen und die Europäer zu imitieren, doch ohne eine entsprechende Anerkennung. Letztendlich stellten die Bevölkerungen der islamischen Welt fest, dass sie nur eine Kopie seien. Die Situation verschärfte sich, als die Entwicklung der Länder in den Punkten Gleichheit und Wohlstand den Erwartungen zurück blieb.

Bei diesem langjährigen Wandlungsprozess hatten die islamischen Länder ihre eigene Identität verloren, und es erfolgte in den 70er Jahren ein Umdenken. Mit dazu beigetragen hat die „Iranische Revolution“ was zugleich eine „Islamische Revolution“ war. Hier wollte man den Menschen ihre Identität wieder zurückgeben. Unter dem Gesichtspunkt „wir haben eine eigene Kultur“ und „Wir sind wer“ ist seitdem auch die Bezeichnung „Islam“ in aller Munde.

Die Regierungen wollten sich nicht dem Kapitalismus oder dem Sozialismus unterwerfen, sondern blickten zurück auf die eigenen religiösen Wurzeln, wobei der Islam für brüderliches Teilen steht.

Diese politischen Systeme funktionieren auf Dauer nicht, denn wie in Libyen häuften einzelne Machthaber das Gesamtvermögen des Staates an. Die Bevölkerungen waren unzufrieden und verlangten Wohlstand und Eigentum für alle. Wichtig ist nach Prof. em. Dr. Dr. Peter Antes zu wissen, dass es das einheitliche islamische Gesamtkonzept gar nicht gibt. Lediglich eine Fassade einer Einheit wird suggeriert, doch es „geistern“ sehr viele unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen herum.

Die Unzufriedenheit mündete in dem Aufbegehren der jungen Menschen im „Arabischen Frühling“. Doch was kommt danach? Im Fall Ägyptens gab es überhaupt nur eine durchorganisierte Partei der Muslimbrüder, die auch gleich mit den Salafisten die Mehrheit stellten. Sie setzen ihren Kurs radikal durch, verfolgten Christen und grenzen viele aus. Die Bevölkerung hat an diesem Punkt die Hoffnung verloren und ist demoralisiert.

Sicherheitspolitisch schwierig sieht Prof. em. Dr. Dr. Antes die Lage in Libyen. Radikale Gruppen und diverse Landlords plünderten in der Umbruchphase ungestört die Waffenarsenale und sind nun bis an die Zähne bewaffnet.

Die Länder des Arabischen Frühlings haben alle zusammen noch ein weiteres Problem. Einzelne politische Parteien werden vom Ausland, meist von Saudi Arabien, finanziert oder durch fundamentalistische Gruppen infiltriert.

Der demografische Wandel in den Ländern nimmt ebenso eine dramatische Entwicklung. Wenn in den europäischen Ländern der Altersdurchschnitt auf die 60 Jahre zugeht, so beträgt der Altersdurchschnitt in den südlichen Mittelmeerländern gerade einmal 25 Jahre. Schnell entstehen aufbrausende Aktionen, die sich immer wieder destabilisierend auf die ganze Region auswirken. Die neuen Regierungen, besetzt mit neuen, jungen und unerfahrenen Politikern machen außenpolitische Beziehungen schwierig. Keiner kennt diese Politiker, keiner weiß, was sie wollen.

Antes wirft den europäischen Regierungen beim Arabischen Frühling Hilflosigkeit vor. Bei der Banken- oder Eurokrise entwickelten sie alle zusammen Maßnahmen, doch gibt es keine Konzepte für die Länder von Algerien bis Syrien.

In der aktuellen Situation steht die Türkei durch umstrittene Entscheidungen im Fokus der Öffentlichkeit. Zu erkennen ist, dass je moderner die Türkei wird, desto islamischer wird sie. Premier Recep Tayyip Erdoğan steht jedoch für den Umbruch und Aufschwung der Türkei. Ihm ist es gelungen, Wähler für seinen bisherigen Kurs zu gewinnen. Seine Wähler sind aber nicht komplett auf seiner Seite, sie erinnern sich an die Zeiten vor Erdoğan und wollen nicht wieder in diese Zeit zurück. Sollten die Europäer nun die Beitrittsverhandlungen stoppen? Laut Prof. em. Dr. Dr. Peter Antes ist das schwierig, denn hier sollten zuerst die Konsequenzen bedacht werden. Die Türkei bleibt nicht allein, doch welche Bündnisse wird sie nach dem Einstellen der Aufnahmegespräche eingehen? Die Türkei könnte sich Russland annähern oder gar ein großtürkisches Reich anstreben.
In seinem Fazit warnt Prof. em. Dr. Dr. Peter Antes davor, die Probleme in diesen Regionen ewig vor sich her zu schieben, denn die Brüchigkeit der vermeintlichen Sicherheit ist zu erkennen. Man müsse von einander lernen, um in Frieden mit miteinander zu leben. Dazu sind langfristige Visionen genauso wichtig, wie die Gespräche miteinander.

Wir müssen lernen miteinander friedlich zu leben, oder werden gemeinsam untergehen, schließt Antes.

Nach seinem Vortrag hatten die Zuhörer noch die Möglichkeit in eine Diskussion einzusteigen.
Auf eine Publikumsfrage kritisierte der Professor die mangelnde Gesprächsbereitschaft der westlichen und europäischen Politiker. Gespräche entwickeln sich schnell zu monologisierten Belehrungen, anstatt in eine tiefgründige Debatte mit den arabischen Gesprächspartnern einzusteigen. Man muss dafür sorgen, dass auch zugehört wird, und bei Verhandlungen darf der Gesprächspartner nicht sein Gesicht verlieren.

Nach Antes fehlen zum Teil vertrauenswürdige politische Partner in den Regionen. Generell befürwortet er, dass Religionsführer an Gesprächen mit teilnehmen. Man muss sich gegenseitig zuhören und verstehen, dass es in den Ländern immer eine unterschiedliche Islamausrichtung gibt.

In Deutschland gibt es seit Jahren einen Vertrag (Konkordate) zwischen den christlichen und jüdischen Glaubensgemeinschaften mit dem deutschen Staat, bzw. einzelnen Bundesländern. Gleiches ist bereits in einzelnen Bundesländern mit islamischen Religionsgruppen eingeführt worden. Zu bedenken gibt Antes, dass gerade einmal ca. 15 % der Muslime sich in solchen Glaubensgemeinschaften organisiert haben. Die restlichen Muslime sind in keiner Gemeinschaft und können durch diese nicht pauschal vertreten werden.

Der Abschluss der gestrigen Veranstaltung war durch das Ausscheiden des amtierenden Sektionsvorsitzenden Norbert Sprenger geprägt. Der Landesvorsitzende der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP), ehemals Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik, Werner Henrichs, würdigte Sprengers Leistung. Sieben Jahre lang war er der Vorsitzende der Sektion Celle und hat in dieser Zeit 68 Veranstaltungen geleitet. Sprenger hat es geschafft, immer mehr Besucher für die Veranstaltungen des GSP zu interessieren.

Am 4.6. wird es diesbezüglich eine Wahl zum neuen Sektionsleiter geben. Diese würde turnusgemäß zu diesem Zeitpunkt ohnehin stattfinden, doch Sprenger wird aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr kandidieren.

Die nächste Veranstaltung findet am Dienstag, den 14.10., statt. Dann referiert der Politikwissenschaftler Peter Bauch M.A. zum Thema „Neue Eiszeit? Russische Außenpolitik und das Verhältnis zur EU“.

In eigener Sache:
Die Redaktion Celler Presse bedankt sich bei Norbert Sprenger für die bisherige herzliche Zusammenarbeit, sein Engagement und seinen Enthusiasmus. Sprenger war in den letzten sieben Jahren das Gesicht der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und organisierte mit viel Herzblut die öffentlichen Vorträge. Wir sagen – Danke!

Redaktion
Celler Presse

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