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Lebenshilfe: Jahresempfang im Zeichen der Inklusion

  • Celle

CELLE. Zum Jahresempfang bei der Lebenshilfe hatten sich zahlreiche Vertreter aus Politik, Verwaltung, Vereinen, Verbänden und Kirchen eingefunden. Der Bundestag wurde vertreten durch die Abgeordneten Kirsten Lühmann und Henning Otte, vom Landesparlament waren Thomas Adasch, Ernst-Ingolf Angermann und Maximilian Schmidt angereist; Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende und Landrat Klaus Wiswe repräsentierten die Kommunalparlamente. Dieses Interesse unterstreiche die Bedeutung der Einrichtung, so Arved von Moller, 1. Vorsitzender des Vereins Lebenshilfe, in seiner Begrüßung.

Anliegen der Lebenshilfe war, die gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu vermitteln. „Die diskriminierungsfreie volle Teilhabe aller an Grundfreiheiten und Menschenrechten ist wesentlicher Pfeiler einer gelingenden Zukunft – für jeden“, hieß es in der Einladung. Dass dies mehr und mehr Realität werde, daran arbeite die Lebenshilfe seit vielen Jahren. So stand das Thema „Inklusion“ im Fokus der Vorträge von Lebenshilfe-Geschäftsführer Dr. Clemens Casper und Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl, Geschäftsführer des Berliner Instituts für christliche Ethik und Politik.

Casper verwies auf das im vergangenen Jahr erarbeitete Leitbild der Lebenshilfe: „Wir kümmern uns um Menschen, die sonst keine Chancen haben: ja – aber mehr als das: wir wollen zur Teilhabe befähigen.“ Zudem sei die Lebenshilfe ein großer Arbeitgeber in Celle, der Menschen in Arbeit bringen will, die der Arbeitsmarkt bisher ausschließe. Damit sei die Einrichtung ein Wirtschaftsfaktor; der Beitrag im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigung müsse Anerkennung erfahren und der Wert anerkannt werden. Casper riet zum vorsichtigen Umgang mit dem Begriff „Inklusion“, der derzeit zu emotionsgeladen sei. Während vor einiger Zeit im vorschulischen Bereich von „inklusiven Krippen“ die Rede war, hat der Begriff heute im schulischen Bereich der Primarstufe und Sekundarstufe I Fuß gefasst. In den Medien sei widersprüchlich über die Inklusion berichtet worden und habe damit zu Irritationen beigetragen. Da war von Schwierigkeiten bei der Inklusion die Rede, von einem gedrosselten Tempo und von fehlenden Förderschullehrern. Letztendlich wurde von einer Steigerung der Inklusionsquote gesprochen, was auf die Wahrnehmung des Rechtsanspruches auf eine Regelschule schließen lasse.

Clemens Casper: „Mit dem zuständigen Sozialdezernenten des Kreises, Herrn Niebuhr und seine Mitarbeitern, Herrn Toboll und Herrn Helmers, sind wir uns einig – es ist auch unsere Position – es gibt keine Inklusion mit der Brechstange.“ Wünschenswert wäre eine Versachlichung der Diskussion. Ob allerdings ein Gleichstellungs-Beauftragter für die Belange beeinträchtigter und nicht beeinträchtigter Menschen die um das Thema rankenden Emotionen kanalisieren könnte, sei die Frage.

Geplant sei, Wohnbereiche in das Konversionsgebiet nach Bergen zu verlegen. Neue Wohnformen seien auch in Wathlingen geplant. Berücksichtigt werden müsse immer die Unterstützungsbedürftigkeit der Menschen. Ein weiteres Anliegen sei, für Menschen mit Beeinträchtigung leichter einen angemessenen Ausbildungs- und Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Ein Leuchtturmbeispiel sei hier der Zweckverband Abfallwirtschaft, der eine neue Halle errichten wird, in der 25 beeinträchtigte Menschen eine Beschäftigungsmöglichkeit mit der Zerlegung von E-Schrott erhalten werden. Casper appellierte an Arbeitgeber, beeinträchtigte Menschen zu beschäftigen. „Unternehmen profitieren davon genauso wie die beeinträchtigten Menschen – und das nicht nur unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise“, so Clemens Casper.

In einem sehr lebendigen und anschaulichen Vortrag verdeutlichte Andreas Lob-Hüdepohl Hintergründe zu dem Inklusionsgedanken in Verbindung mit der Behindertenrechtskonvention und der Menschenrechtskonvention. Dabei ging er auf im Zusammenhang mit dem Begriff „Inklusion“ verbundene Irritationen ein. Er selbst wolle den Begriff eher vermeiden, um keine falsche Assoziation zu erzeugen. „Inklusion“ sei ein Reizwort – ein „Containerbegriff“, ein „moralisches Hochwertwort“. Die dominante Assoziation in der Öffentlichkeit sei allerdings die „inklusive Schule“, die eine stark eingeengte und irritierende Definition mit sich bringe: eine Schule für alle, Auflösung aller Förderschulen als 4.Glied im Schulsystem, Auflösung des generell gegliederten Schulsystems,
weil ausnahmslos vom Schwerstbehinderten bis zum Hochbegabten.

Hauptziel sei aber die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am allgemeinen Arbeitsmarkt, die betriebliche Inklusion und damit Nicht-Aussonderung im betrieblichen Alltag und die Qualifizierung am Arbeitsplatz. Es müsse die Möglichkeit, Lebensunterhalt durch (Erwerbs-) Arbeit geschaffen werden mit einer freien Wahl auf einem offenen, integrativen Arbeitsmarkt, Weiterbeschäftigung, Aufstieg, berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung. Notwendig sei die Anerkennung und Wertschätzung jener „Fertigkeiten, Verdienste und Fähigkeiten“, die Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt einbringen und mit denen sie die Arbeitswelt insgesamt bereichern. Das führe zu einer gelingenden Inklusion.

So sprach der Professor auch die Fähigkeiten Autisten an – „Supertalente mit Überraschungseffekt“. Das seien Menschen mit einer besonderen Gabe, u. a. einer außergewöhnlichen Konzentrationsfähigkeit. Für Unternehmen mit hohem Innovationsbedarf sei das ein „Glücksgriff“. Während früher versucht wurde, diese „Nur-Kompetenzen“ mit „Auch-Kompetenzen“ zu kompensieren, gehe heutzutage die Tendenz dahin, die „Nur-Kompetenz“ als Mehrwert zu nutzen.

Wichtig sei die Inklusion mit dem Ziel „mittendrin“ statt „nur dabei“ durch unbedingte Einbeziehung in alle existentiell bedeutsamen (wesentlichen) Lebensbereiche einer Gesellschaft und eine menschenrechtsbasierte Qualität der Einbeziehung, ebenfalls die Achtung vor der Unterschiedlichkeit (‚difference‘) von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt (‚diversity‘) und der Menschheit.

Verletzung der Würde von Menschen mit Behinderungen durch ökonomisches Kalkül sei grundsätzlich abzulehnen, positive Auslese ist und bleibe diskriminierend und stigmatisierend, ebenso eine neue Form negativer Einbeziehung durch abwertende Funktion.

„Die Unterschiedlichkeit der Beeinträchtigungen erfordere unterschiedliche Förderung“, so Prof. Lob-Hüdepohl. Deshalb müsse die Gesellschaft lernen, diese Unterschiedlichkeit zu ertragen.

Für seine eindringliche Darstellung des Inklusionsthemas erntete der Professor bei den Besuchern des Jahresempfangs einen langanhaltenden Beifall.

Die Pausengestaltung lag bei Barbara Wegerif und Anne Crönert mit eingängigen musikalischen Beiträgen.

Redaktion
Celler Presse

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