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Illusion statt Inklusion – Deutschland im europäischen Vergleich

ALTENCELLE. „Sind wir bei der Inklusion auf dem richtigen Weg?“. Die Frage stellte sich gestern die FDP Celle mit einem Impulsvortrag von Björn Försterling (MdL) und einer anschließenden Diskussionsrunde. Um die Antwort vorwegzunehmen: Nein, wir sind es nicht, wir befinden uns sogar auf einem gefährlichen Irrweg zu Lasten aller Beteiligter. Demotivierte Kinder, hilflose Eltern und völlig überforderte Lehrer, das ist es, was uns die Inklusion bis heute gebracht hat. Dabei war sie ganz anders gedachte. Laut UN-Konvention soll jedem Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Die Umsetzung in Deutschland? Mehr als mangelhaft, das, um es schulisch auszudrücken, Klassenziel wurde in keinster Form erreicht, die Versetzung ist seit Jahren mehr als gefährdet.

Dabei, so betonte es auch gleich zu Beginn der Veranstaltung Jutta Krumbach, Vorsitzender des FDP-Ortsverbandes Celle, halten die Liberalen die Inklusion für immens wichtig, denn Kinder mit Auffälligkeiten nehmen zu – Kinder, die jedoch so auffällig sind, dass sie eigentlich gar nicht im Regelbetrieb von Kindergärten und Schulen aufgenommen werden können. Dabei wünscht sich die FDP, dass betroffene Kinder gleichberechtigt ihren Fähigkeiten geförderten werden können.

Vorrangig, so Försterling, sei es bei der UN nicht darum gegangen, Kinder aus Förderschulen in Schulen zu bringen, sondern vielmehr darum, Betroffenen aus Ländern, in denen sie gar keinen Zugang zu Schulen haben, das Lernen zu ermöglichen. In typisch deutscher Gründlichkeit wurde hierzulande dann versucht, diese Maxime umzusetzen. Dann werden Länder genannt, die bei der Inklusion besonders weit sein sollen. Als Paradebeispiele werden hier die skandinavischen Länder herangezogen, deren Schulsystem aufgrund der Landbeschaffenheit gar nicht mit Deutschland vergleichbar sind. Dort jedoch findet nach Försterlings Meinung gar keine Inklusion, sondern viel Integration statt. Es werde nicht mit der „deutschen Gründlichkeit“ gearbeitet, die besagt, Inklusion muss auch in den 45 Minuten Unterricht stattfinden.

„Wir müssen uns auf einen Weg machen, systemische Voraussetzungen zu schaffen, dass wir allen Kindern entsprechend gerecht werden“, so Försterling. Entsprechend habe man sich auch in Niedersachsen auf diesen Weg begeben. Auch bei den Liberalen habe man gesagt, dass es nicht richtig sei, dass eine Landesschulbehörde vorgibt, auf welche Schule ein Kind mit Förderbedarf gehen muss. Dieses zog für die betroffenen Kinder oftmals immens lange Schulwege und schlechte Rahmenbedingungen nach sich. Zu Recht hätten sich die betroffenen Eltern dagegen aufgelehnt. In dieser Diskussion jedoch kam immer wieder die Frage auf, wo Deutschland im europäischen Vergleich steht. Die Politik hat darauf reagiert und an erster Stelle gefragt, wie die hohe Quote der in Förderschulen unterrichteten Kinder verbessert werden kann. Denn tatsächlich wurden hierzulande deutlich mehr Kinder in den Förderschulen beschult als im europäischen Vergleich. Die Kernfrage sei gewesen: Wie stehen wir relativ schnell gut dar im europäischen Vergleich?

Die meisten Kinder wurden in den Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen unterrichtet. Somit sei klar gewesen: Wenn wir diese Förderschulen auslaufen lassen, dann verbessern wir uns im europäischen Vergleich relativ schnell und wir bekommen relativ schnell viele Lehrerstunden frei für die Inklusion. „Das war ein Fehler“, so die Einschätzung Försterlings, der mit seiner Meinung nicht alleine steht.

Differenzierter sah nach eigener Aussage Anja Schulz, Bundestagskandidatin der FDP aus Uelzen, das Thema. Ihrer Meinung nach soll man bei der Inklusion keine Rückschritte machen, sondern diese weiter vorantreiben. Mit der UN-Konvention habe es zwar einen guten Ansatz gegeben, jedoch nicht die Überlegungen, wie man diesen umsetzen will. Ziel müsse es sein, dass die Kinder nach ihren individuellen Bedürfnissen beschult werden. Ein behindertes Kind gehe nicht zwangsläufig deshalb auf ein Gymnasium, weil es das Abitur erlangen wolle, sondern vielmehr, so die Meinung Schulz, deswegen weil es unter anderem die in der Grundschule aufgebauten Sozialkontakte weiter aufrecht halten wolle. „Wir müssen uns von dem Irrglauben trennen, zu denken, dass Inklusion wie sie jetzt läuft, funktioniert“.

Bei Charles M. Sievers steht beim Thema Inklusion an erster Stelle das Wort „Wut“. Sievers kann hierbei nicht nur aus Sicht des Lokalpolitikers berichten, sondern in erster Linie als Pädagoge an einer Oberschule im Landkreis Celle. „Ich bin wütend“, so Sievers. Wut sei auch das, was ganz viele Kollegen empfinden. Wut deshalb, weil die Lehrer mit der Inklusion alleine gelassen worden sind. Nach Einführung der Oberschule, von Sievers auch IGS light genannt, folgte relativ schnell die Inklusion.Sievers selbst bekam als erstes Inklusionskinder mit besonderen Einschränkungen in seine Klasse. Daraufhin wurde zunächst der Klassenraum an die Bedürfnisse angepasst. „Mit einem Teppichkleber, der so stank, dass wir ab sofort immer durchgehend lüften mussten. Kleiner Fehler, kann passieren“, so Sievers humorige Einschätzung. Dann wurde empfohlen, er solle eine spezielle Fortbildung machen – in einem Wochenendkurs über zwei Jahre. Das Problem an dem Vorgehen: Er hat die Kinder nur zwei Jahre in seiner Klasse. Diesen beiden Kindern würden vier Stunden Förderschullehrer zustehen. „Ich hab die allerdings noch nie in meinem Unterricht gesehen, was nicht böse gemeint ist. Ich sehe die an unserer Schule und spreche auch mit denen, aber auch die fühlen sich überfordert“. Das Schlimme an der Inklusion sei, dass immer vergessen werde, dass Lehrer auch Menschen sind. „Wir haben einen Beruf ergriffen, bei dem wir mit Liebe Kinder erziehen wollen. Das können wir aber nur, wenn wir uns dazu auch in der Lage fühlen“. In Gesprächen mit seinen Kollegen jedoch wird klar: Die Lehrer haben nicht die Fähigkeiten für diese Aufgaben, weil sie nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. „Die Kinder werden zur Schule geschickt, aber sie können sich nicht integrieren. Dabei ist Inklusion auch Integration“. Ein großes Problem sieht Sievers darin, dass die Lehrer sich „verbrennen“, einzig und allein, weil sie auch Menschen sind. Seiner Meinung nach brauchen wir daher eine „unglaubliche Entschleunigung“, um mit der Situation umzugehen. Die betroffenen Kinder würden „Frust schieben“, weiß Sievers. Daher sei für ihn das Pendant zu Inklusion das Wort Wut, oftmals aber auch Hilflosigkeit.

Auch in der folgenden Diskussion zeigte sich: Inklusion ist gut gedacht, die Vorgehensweise allerdings komplett falsch.

Redaktion
Celler Presse

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