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War Martin Luther der Erfinder der deutschen Sprache?

CELLE. Knapp 100 Besucher hatten sich im Beckmannsaal eingefunden, als Prof. Dr. Anja Lobenstein-Reichmann auf Einladung der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) – Zweig Celle – zum Thema „Luther und die deutsche Sprache“ referierte. So ist Luther nicht als Erfinder der deutschen Sprache zu sehen. Das suggeriere, dass es das Deutsche vor Luther noch nicht gegeben habe.

Die Göttinger Professorin beschreibt ihre Erkenntnisse so: „War Martin Luther der Schöpfer der deutschen Sprache oder zumindest ein Sprachgenie, das, so Herder, „die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgewecket und losgebunden“ hat? Er habe die ganze Nation zum Denken und Fühlen gebracht. Oder war er nur ein religiöser Agitator, dessen „Schimpfen, Speien, Wüten“ Thomas Manns „instinktive Abneigung“ erregt hat? War er ein genialer Übersetzer oder nur jemand, der den „Jargon gärender Unterschichten“ in die Schriftsprache überführte, als er beim Übersetzen der Hl. Schrift der „mutter ym haus“ und dem „gemeine(n) man“ „aufs Maul“ geschaut hat? Luther gilt nicht nur theologisch als Weltwandler, er gilt auch sprachgeschichtlich als der entscheidende Sprachwandler des Deutschen.“

Luther wurde im Laufe der Geschichte auch als gewissenloser Eiferer bezeichnet, später sogar aus Auswurf der Menschheit oder Psychotiker. Andererseits wurde er als Schutzgeist der Freiheit und Aufklärer gesehen, als Begründer der deutschen Kulturnation und Vater der deutschen Sprache.

Die Referentin verdeutlichte in ihrem Vortrag, was dran ist an den Mythen und Legenden zu Luthers Sprachschaffen. Luthers Anliegen war nicht, den Deutschen zu einer sprachlichen Einheit zu verhelfen. Sein Anliegen war „Mit welchen Worten treffe ich die Bibelaussagen am besten?“ Es ging ihm darum, die evangelische Botschaft greifbar zu machen – das Religiöse sagbar zu machen. Das war ein rein theologisches Interesse. Wenn seine Ausdrucksweise teilweise als grobianisch unflätig bezeichnet wird, so ist das nur aus heutiger Sicht zutreffend. Seinerzeit war das im Rahmen des Üblichen. Wenn Luther heutzutage auch als Sprachgenie bezeichnet wird, er selbst hätte es von sich gewiesen.

Für die Bibelübersetzung griff Luther auf die hebräischen und griechischen Urtexte zurück. Dabei ging es ihm darum, den Sinn der Botschaft volksnah im Deutschen auszudrücken, und deshalb hatte er dem Volk „aufs Maul geschaut“. Viele von Luther geprägte Wörter haben die Jahrhunderte überdauert und sind aktueller Sprachgebrauch: Gnade, Selbstverleugnung, Machtwort, Schandfleck, Lückenbüßer, Gewissensbisse, Lästermaul und Lockvogel. Aber auch Redewendungen „Perlen vor die Säue werfen“, „ein Buch mit sieben Siegeln“, „die Zähne zusammenbeißen“, „etwas ausposaunen“, „im Dunkeln tappen“, „ein Herz und eine Seele“, „auf Sand bauen“, „Wolf im Schafpelz“ und „der große Unbekannte“ gehen auf ihn zurück. Aber Luthers Bibelübersetzung hatte auch einen Nebeneffekt: Damit war die Großschreibung der Nomen für die Rechtschreibung allgemein gültig. Neben der Bibelübersetzung hat sich Luther auch bei Texten für Kirchenlieder einen Namen gemacht.

Anja Lobenstein-Reichmann promovierte 1998 über das Thema „Freiheit bei Martin Luther“. Sie ist Leiterin der Forschungsstelle „Frühneuhochdeutsches Wörterbuch“ an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen sowie dessen Mitherausgeberin und -autorin. Dieses Werk ist ein semantisch orientiertes Grundlagenwerk zur textlichen Überlieferung des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit. Sie lehrt als Professorin für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Prag und als apl. Professorin an der Universität Heidelberg. Sie veröffentlichte zahlreiche Artikel zur Sprache, Begriffs- und Ideologiegeschichte der Reformationszeit sowie des 19. und 20. Jahrhunderts, zur Lexikographie, Sprachgeschichte, Sprachpragmatik und Sprachsoziologie.

Redaktion
Celler Presse

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