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Renata Laqueur (1919 – 2011) zum 100. Geburtstag: Tagebuch aus der Haft in Bergen-Belsen

CELLE. Wer war Renata Laqueur? 1944/45, als junge Frau, war sie im KZ Bergen-Belsen gefangen gewesen und hatte dort, trotz entsetzlichen Elends und großer Gefahr, Tagebuch geführt. In den 90er Jahren lud sie der Landkreis Celle ein, als Zeitzeugin in Schulen darüber zu berichten. Ihr Tagebuch hat nicht nur dokumentarischen Wert, es gibt auch Zeugnis von ihrer bedeutenden Sprachkraft.

An ihrem 100. Geburtstag veranstaltete die Ernst-Schulze-Gesellschaft in Kunst & Bühne zu ihren Ehren einen Abend mit Lesungen und Gespräch. Vier große Grafiken von Friederike Witt-Schiedung zum Thema „Tagebuch“ deuteten aus, was Schreibende bewegt, von geheim gehaltener Selbstvergewisserung bis zur Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Rainer Schiedung stimmte musikalisch auf der Klarinette einfühlsam in den nachdenklichen Ton des Abends ein.

Bevor aus dem Tagebuch Renata Laqueurs gelesen wurde, referierte Elke Haas die Lebensstationen der Autorin: Geboren 1919 in Brieg/Niederschlesien – die Eltern waren lutherisch getaufte Juden – war sie das vierte von fünf Geschwistern. In Amsterdam wuchs sie auf, weil ihr Vater dort Professor für Pharmakologie geworden war. Dort machte sie Abitur und ließ sie sich als Sekretärin ausbilden. Nach der Besetzung der Niederlande durch Hitlers Truppen wurde sie 1943 im „Judenlager“ Westerbork interniert und im März 1944, zusammen mit ihrem Mann und vielen anderen Holländern, nach Bergen-Belsen gebracht. Dort erfuhren sie Unvorstellbares. Mit allergrößter Selbstdisziplin – einen Eindruck erhielten die Gäste der Veranstaltung durch zwei vergrößerte Seiten der Handschrift ihres Tagebuchs – schrieb sie auf, was sie erlebte, fühlte, hoffte. Im April 1945 schickte die SS Züge mit Lagerinsassen Richtung Osten, bei Leipzig befreiten sowjetische Soldaten die Gefangenen. Renata Laqueur und ihr Mann waren todkrank, überlebten aber und schlugen sich Ende Juli nach Amsterdam durch. Traumata verfolgten sie. Aber die junge Frau konnte noch einmal neu beginnen, sie wanderte nach New York aus, heiratete noch einmal, fand Arbeit in einem Krebsforschungsinstitut und studierte sogar Sprachen. In ihrer zweiten Lebenshälfte besuchte sie ihre Heimat Holland wieder und auch Deutschland, schließlich auch das ehemalige Lager Bergen-Belsen.

Die deutsche Ausgabe ihres Tagebuchs, das sie in Holländisch verfasst hatte, verdanken wir Peter Wiebke aus Bergen. Er lebt jetzt in Schweden und hat die Vorbereitungen des 100-jährigen Geburtstags mit gutem Rat begleitet. Die beiden deutschen Ausgaben von 1983 und 1989 sind vergriffen, doch kündigte während der Veranstaltung Dr. Thomas Rahe, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte, eine Neuauflage für das nächste Jahr an.

Zur Lesung hatten sich die vier Vortragenden Stellen aus dem Tagebuch herausgesucht, die sie besonders berührten: Den Beginn des Tagebuchs las Margreet van Praagh in der Originalsprache. Verwandte ihres Mannes waren auch in Bergen-Belsen inhaftiert gewesen. Auf Deutsch las sie dann noch eine spätere Stelle mit Erinnerungen an Blumen, Gärten, Freiheit. Dörthe Fabricius trug mit großem Ausdruck die Aufzeichnungen zu einem Tag vor, dem 25. Mai 1944. Bafta Fejzullahu hatte sich Stellen des Tagebuchs herausgesucht, die von Heimweh zeugen. Sie unterlegte ihre Rezitation mit leiser Musik vom Band. Friederike Schiedung schließlich stellte Passagen aus Laqueurs Tagebuch von 1945 zeitgleichen Aufzeichnungen ihrer Mutter gegenüber, die aus dem Osten nach Uelzen geflüchtet war. Die Zuhörer waren sehr beeindruckt. Die Meinung, das Tagebuch sei anspruchsvolle Literatur, stieß auf unausgesprochene Zustimmung.

Nach kurzer Pause tauschten sich die Anwesenden über Fragen aus, wie: Warum, wozu führen Menschen gerade auch in bedrohlichen Umständen ein Tagebuch? Ist es hilfreich für sie selbst? Schreiben sie auch für ihre Kinder, die Mitmenschen, die Nachwelt? Klaus Engling berichtete von seiner Erfahrung mit kranken Menschen, die nicht mehr selbst schreiben konnten, und dshalb ungemein dankbar waren, dass sie ihre Beobachtungen und Urteile von anderen festgehalten bekommen konnten.
Nachdem Bafta Fejzullahu, die 1989 aus dem Kosovo hatte fliehen müssen, aus ihrem eigenen Tagebuch vorgelesen hatte, wurde sie gebeten, den Text unbedingt noch einmal öffentlich zu machen, weil er uns mahne, dass Krieg und Gewalt weiterhin Menschen bedroht. Elmast Süzük ließ ausrichten, dass sie es sehr bedauere, in schwerer Zeit nichts aufgeschrieben zu haben. Weitere Aussagen und Fragen rundeten den Abend ab, von dem Margreet van Praagh rückblickend urteilte, dass er eine würdige Veranstaltung war, nicht nur Erinnerung, sondern auch Ermutigung für Hier und Jetzt.

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