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Wird Eschede das neue Hetendorf?

ESCHEDE. Wer die Gesichte zu Hetendorf 13 bei Hermannsburg kennt, der wird sich sicherlich die Frage stellen, ob der NPD-Hof in Eschede zum neuen Schulungszentrum Rechter aus ganz Deutschland wird. In dem folgenden Bericht haben wir die Entwicklungen zusammengetragen, die einen Überblick verschaffen – oder die Augen öffnen sollen.

Jürgen Rieger, Neonazi und NPD Politiker, erwarb 1978 durch zwei Vereine die Immobilie Hetendorf 13 bei Hermannsburg im Landkreis Celle. Die Liegenschaft wurde zu einem wichtigen Schulungszentrum der rechten Szene.

Die Wiking-Jugend (WJ), eine Nachfolgeorganisation der Hitler-Jugend und des Bundes Deutscher Mädel, nutzte das niedersächsische „Heide-Heim“ in Hetendorf, bis zum Verbot der Organisation 1994, für Ihre paramilitärischen Übungen.

Die rechte Szene gründet jedoch frühzeitig Parallel-Organisationen, um im Falle eines langfristig angekündigten Verbotsverfahrens Ausweichmöglichkeiten zu haben. So wurde 1990 die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) gegründet. Die HDJ hatte, wie die Wiking-Jugend, die Hitler-Jugend als Vorbild.

Hetendorf war Dreh- und Angelpunkt der Neonazis im gesamten deutschsprachigen Raum. Zeltlader, Brauchtumsfeiern, paramilitärische Übungen, Drill und ideologische Schulungen standen auf der Tagesordnung. Doch auch hier zeigte sich, dass die Rechten auch Ausweichquartiere suchten und fanden. Schon 1990 fanden auf dem landwirtschaftlichen Hof des NPD Mittglieds Joachim Nahtz die ersten Feierlichkeiten, außerhalb Hetendorfs statt. 1998 wurden dann jene rechte Vereine verboten, die direkt die damalige Liegenschaft „Hetendorf 13“ erwarben. Das Schulungszentrum wurde im Folgenden enteignet.

Die Verboten zogen sich weit in die rechten Kreise und Seilschaften hinein – geschwächt wurden sie allerdings nicht.

1999 wurde der 44-jährige Peter Deutschmann von zwei Rechtsradikalen in Eschede brutal getötet. Der Obdachlose Deutschmann hatte eine Sozialwohnung bekommen und galt stets als „Hippie“. Die beiden Täter überfielen Deutschmann in seiner Wohnung und folterten ihn. An seinen schweren Verletzungen verstarb Deutschmann wenig später.

Rieger ließ von seinem Vorhaben – unbedingt ein Grundstück im Raum Celle erwerben zu wollen – nicht ab. Das leerstehende „Landhotel Gerhus“ in Faßberg im Landkreis Celle war für die Rechten ideal gewesen. Kurzerhand besetzten die Neonazis das Gebäude. Wesentlich beteiligt war hierbei die Celler Kameradschaft 73 um Dennis Bührig, aus dem Rechten Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland und auch ehemals „Nationaler Widerstand“ Celle. Die Besitzverhältnisse des Landhotels waren allerdings fragil. Rieger hatte zwar einen zehnjährigen Pachtvertrag unterschrieben, doch das gesamte Gebäude stand unter der Obhut eines Zwangsverwalters. Die Erbengemeinschaft Hennies hätte somit den Vertrag nicht direkt mit Rieger abschließen dürfen. Der angesetzte Pachtzins von 600 Euro war zudem viel zu gering angesetzt, was den Fall vor das Amtsgericht brachte.

Der Hof-Nahtz am Rande von Eschede war zu diesem Zeitpunkt noch in Privatbesitz von NPD Mitglied Joachim Nahtz (schon 1952 Mitglied in der Deutschen Reichspartei) und sein Hof fungierte seit 1990 zu einem beliebten Veranstaltungsort für sämtliche Rechte Feste und Völkische Brauchtumsfeiern. Die Heimattreue Deutsche Jugend (verboten 2009) war hier ebenfalls zu Gast und veranstaltete unter anderem 2007 ein Pfingstlager mit ca. 200 Teilnehmern. Auf diesem Lager war auch die „Einheit Niedersachsen“, unter der Führung der Familie Manfred Börm zugegen. Ein weiter Name ist Andreas Kalbitz, Landesvorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD) in Brandenburg, der bei der Heimattreue Deutsche Jugend aktiv war.

2008 trat die NPD bei der Landtagswahl mit folgenden Kandidaten an:

Joachim Nahtz – für Uelzen (700 Stimmen)
Dennis Bührig – für Bergen (Kameradschaft 73 – 853 Stimmen)
Klaus Hellmund – für Celle (Kameradschaft 73 – 817 Stimmen)

Das Jahr 2008 war auch ein Jahr der Feierlichkeiten auf dem Hof. Neben den Wahl-„Erfolgen“, fand ein großes RechtsRock-Konzert mit über 250 Personen statt und das Erntedankfest wurde gefeiert.

Feierlich waren bei der Partei jedoch nicht die Finanzen. Nach Unrichtigkeiten in den Rechenschaftsberichten 1997, 1998 und 1999, wurde nach langjährigen juristischen Streitigkeiten vom Verwaltungsgericht Berlin entschieden, dass die Partei 869.355,89 Euro staatliche Gelder der Parteienfinanzierung zurückzahlen musste.

2009 startet die Kameradschaft 73 eine Flugblattkampagne im Ort Eschede. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, sich selbst ein Bild vom Hof zu machen. Namentlich werden bei dieser Aktion Helge Grotjans und Dennis Bührig erwähnt.

Im Höhenflug der NPD und der Etablierung im Landkreis Celle auf dem „neuen“ Hof des Mitglieds Joachim Nahtz konnten sie unter dem Deckmantel der Privatveranstaltungen im Schatten agieren. So gründeten die Jungen Nationaldemokraten (JN) hier den „Stützpunkt Lüneburger Heide“. Namentlich werden hier auch wieder die Personen Dennis Bührig und Manfred Börm erwähnt.

Im Jahr 2009 hatte Rieger dann einen schweren Schlaganfall erlitten, an den Folgen der NPD-Vizevorsitzende eine Woche später, am 29. Oktober 2009, verstarb.

Während die rechte Szene um ihren großen Vordenker und Lenker Rieger trauerte, freute man sich indes, dass nun im Landkreis Celle auf dem maroden Hof Nahtz die letzten Schlaglöcher  saniert werden konnten. Die exklusive Zufahrt „Zum Finkenberg“ ist ein öffentlicher Weg, der allerdings nur einen Schweinestall und den Hof-Nahtz betrifft. Ungläubig schauten die Bürgerinnen und Bürger – wie Medienvertreter – auf die ausgegebenen Gemeindegelder, da Hetendorf und Gerhus noch in aller Munde war.

Trotz zweier Durchsuchungen der Polizei auf dem Hof im Jahr 2009 und 2011, konnten nur im Jahr 2009 ein Gewehr und Patronen gefunden. Eine geringe Geldstrafe war die Folge. Die Feierlichkeiten und Brauchtumsfeiern wurden jedoch in den Jahren zu einem festen Bestandteil der Netzwerktreffen der Rechten auf dem Hof Nahtz. Höhepunkt war 2010 ein RechtsRock-Konzert mit über 600 Teilnehmern auf dem Hof.

Während in Eschede die Rechten den Hof nun vollständig annektiert haben, strecken diese auch Ihre Fühler nach Celle aus. Strategisch ideal vor dem Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasium (KAV) eröffneten Janice Kaufmann und Christian Heidrich einen Tattooshop. Kaufmann und Heidrich können dem rechten Lager zugeordnet werden, denn die Verbindungen zum oben bereits erwähnten Helge Grotjan zeigen sich auf Facebook. Gemeinsam machte man Werbung und brachte man sich Kunden. Die Lage vor dem Gymnasium ist ebenfalls kritisch zu sehen, da die Aktivitäten der Rechten seit der Wiking-Jugend in Hetendorf sich verstärkt auf Kinder und Jugendliche konzentrieren.

Es wird ruhiger um den Hof und die Kameradschaft 73 löst sich 2011 auf. Doch dieser Schritt scheint nur eine weitere Strategie der Rechten zu sein. Während die Kameradschaft 73 (oder Celle `73) wohl immer mehr in Verbotsnähre rückte, löste sich die Organisation selbst auf und gab sich zunächst einfach einen neuen Namen: „Freie Kräfte Celle“. Während dieser lokalen Umstrukturierungsmaßnahmen wurde es zugleich ein wenig ruhiger um den Hof in Eschede.

Kontrovers ist die Entwicklung im Jahr 2013 zu sehen, denn der ehemalige landwirtschaftliche Hof verlor gepachtete umliegende Ländereien. Nunmehr konzentriert es sich ausschließlich um das Hof-Gebäude und das Kern-Grundstück. Größere Veranstaltungen scheinen nunmehr nicht mehr durchführbar.

Es ließe zunächst vermuten, dass die Rechten an Rückhalt verloren hätten, da die Treffen in ihrer Teilnehmerzahl rückläufig waren und es gegebenenfalls eine Verwerfung zwischen dem NPD Mitglied Joachim Nahtz und der Partei gab.

Diese Spekulation fußte jedoch auf keiner bestätigten Grundlage, denn schon im September 2013 trat Nahtz für die NPD als Direktkandidat für die NPD an.

Ein verheerendes Feuer wütet 2014 auf dem Hof. Die Scheune auf dem Grundstück stand lichterloh in Flammen. Ein Übergreifen auf das Haus konnte von der Feuerwehr verhindert werden. Durchgeführte Aufräumarbeiten vor und nach dem Brand sollten auch unter der Beteiligung von Rechten stattgefunden haben. Nach Informationen des Enkels, war die Hilfe der „Kameraden“ jedoch nicht sehr umfangreich. Letztendlich musste die Familie und enge Freunde den Großteil der Arbeiten selbst erledigen, wie er am Rande einer Demonstration mitteilte.

Obgleich sich das Grundstück durch die verlorenen Ländereien 2013 auf das 5000 qm große Grundstück konzentriert, kommt die freigewordene Fläche der abgebrannten Scheune Nahtz und seinen Parteifreunden entgegen.

Seit 2014 starten nun wieder verstärkt regelmäßige Treffen auf dem Hof statt. Noch immer ist das Gelände in Privatbesitz und die Feierlichkeiten werden „offiziell“ als Privatfeiern deklariert.

Nach der „Durststrecke“ in den Jahren 2012 – 2014 hat sich die Strategie der Rechten im Landkreis geändert. Die Brauchtumsfeiern finden zunächst noch mit angezogener Handbremse statt und die genauen Daten sind ein Katz- und Mausspiel mit den Gegendemonstranten. Erntefeste und Sonnwendfeiern stehen auf dem Hof auf der Agenda, können über die nächsten Jahre aber nicht immer stattfinden. In der Regel treffen sich auf dem Hof rund 30 bis 100 Neonazis. Viele der Teilnehmer der Feierlichkeiten stoßen dann aber bei Einbruch der Dunkelheit dazu. Heidnische Rituale mit Fackeln und Gesang zeigen Bilder, die Teilnehmer und teils die NPD in den Sozialen Medien zeigt.

2017 finden auf dem Hof bei den Feierlichkeiten auch wieder RechtsRock-Konzerte statt. Bei einer der anschließenden Veranstaltungen wurde eine Art „Messe“ aufgebaut. Viele rechte Organisationen hatten ihre Stände aufgebaut und warben für sich. Mit darunter u.a. die Identitäre Bewegung, Reichsbürger, Völkische Siedler, Kameradschaften, Freie Kräfte, Snevern Jungs und Düütsche Deerns. Eigene Ordner schirmten die Veranstaltung ab, Melder hatten zudem die Zufahrtsstraße im Blick. Die Polizei versuchte stets den Hof zu bestreifen, kam jedoch am Hof arg in Bedrängnis.

Im Februar 2019 überraschte der Verkauf des Hofes die Menschen. Der NPD-Landesvorsitzende Manfred Dammann hatte in einem anschließenden Video mitgeteilt, das Gelände in ein „Gemeinschaftszentrum“ umbauen zu wollen. Gemeinsam auf dem Video ist Dammann mit Manfred Börm zu sehen.

Auf der Wintersonnenwende 2019 zeigt Recherche Nord, dass sich auf dem Gelände auch wieder der Celler Neonazi Dennis Bührig von der damaligen Kameradschaft 73 zugegen ist.

Von den Behörden wurde der Hof über die Jahre nicht als Hotspot betrachtet. Angesichts „moderner“ Formen des Rechtsradikalismus, scheint die Sichtweise der NPD antiquiert und in der Szene nicht mehr gefragt. Auch die Konzentration auf „Zentren“ wird in der Bundesrepublik von den Rechten nicht sonderlich gut angenommen.

2020, im Schatten der Corona-Krise, finden nun weitreichende Baumaßnahmen auf dem NPD-Hof in Eschede statt. Eschede ist im Zentrum der aufblühenden rechten Szene in der Achse Braunscheig/Harz und Lüneburg/Wendland. Der NPD-Landesvorsitzende Manfred Dammann sowie Manfred Börm aus Lüneburg, ehemaliger Aktivist der verbotenen „Wiking-Jugend“, drücken nun bei der Realisation eines Zentrums und der Parteizentrale aufs Tempo.

Reichsbürger finden sich bereits jetzt im Ort Eschede, Mitglieder der Düütsche Deerns wird ebenfalls im Ort gesichtet und Völkische Siedler drängen von Norden in den Landkreis Celle. Eschede soll nun zur Drehscheibe und Zentrum der Rechten werden, zeigt die Entwicklung vor Ort.

Der Verfassungsschutz zählt 24.000 Rechtsextremisten, davon gilt mehr als die Hälfte als gewaltbereit. Während im Landkreis Celle 2017/2018 insgesamt 75 rechtsmotivierte Straftaten gemeldet wurden – entspricht die polizeilich angezeigte Menge einen Durchschnitt von über 3 Straftaten rechter Gesinnung im Monat. Die Dunkelziffer dürfte auch hier höher liegen, denn während man nach Recherchen in einer Lokalität in Unterlüß (vor Cornona) offen rechtsradikale Parolen rufen und rechte Lieder singen durfte und ausländische Mieter von ihren deutschen Vermietern aus rechtsmotivierten Hintergründen drangsaliert werden, wird sich die Lage in den kommenden Monaten eher verschärfen, als beruhigen.

Bürgerlicher Widerstand gegen die NPD und den Hof gab es schon seit Jahren. Das Netzwerk Südheide, das Bündnis gegen Rechtsextremismus in Eschede, das Forum Celle, die Kirche und ein weiteres breites Bündnis von Bürgerinnen und Bürgern versucht stets auf die Lage im Ort Eschede hinzuweisen.

Zu bekanntgegebenen Treffen auf dem NDP-Hof, Festen und auch NPD-Kundgebungen im Kernort Eschede, werden regelmäßig Gegendemonstrationen angemeldet.

Redaktion
Celler Presse

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