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Das Lebenswerk des Jussuf Abbo dargestellt im musealen Kontext

CELLE. Das atelier 22 zeigt eine ungewöhnliche Ausstellung. Erstmals in einer Ausstellung des atelier 22 taucht der Betrachter in die Vergangenheit ein. Die Wände zieren Werke eines Künstlers aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Verein ist bekannt geworden mit Ausstellungen von zeitgenössischer Kunst. Die Reise in das vergangene Künstlerleben von Jussuf Abbo geht auf die umfangreiche Recherchearbeit des Said Baalbaki zurück. Die museale Ausstellung zeigt historische Ereignisse auf und stellt diese in den Zusammenhang des künstlerischen Schaffens des palästinensischen Künstlers. Ebenso außergewöhnlich ist die Tatsache, dass ein Künstler die Arbeiten eines anderen Künstlers präsentiert. Dabei kann der Betrachter die Parallelen der beiden Künstler entdecken und über die Unterschiede diskutieren.

Das zentrale Thema der Ausstellung ist der Bezug zur Heimat. Was bedeute Heimat? Was macht Heimat aus? Und wie beeinflusst das Heimatgefühl die künstlerische Arbeit? Heimat ist gerade ein topaktuelles Thema, welches den Verein die kommenden Wochen begleiten wird. Wie kann ein Mensch Heimat erleben und wie ist es, die Heimat zu verlassen? Als Fremder ein neues Land und eine neue Kultur zu entdecken? Für beide Künstler hängt das Auswandern sowohl mit einem beruflichen Neuanfang aber auch mit dem Gründen einer eigenen Familie zusammen. Abbos Werke von unglaublicher Kraft thematisiert seine Heimat – so wie auch die Arbeiten von Baalbaki einen starken Heimatbezug besitzen. Das Konzept und die Vorbereitung der Ausstellung im atelier 22 geht auf den Künstler Said Baalbaki zurück.

Einführung in die Ausstellung

Said Baalbaki und sein Wirken im musealen Raum

Seit Kindesbein hat ihn das Museale fasziniert. Er hat es geliebt, mit seinem Vater verschiedenste Pariser Museen zu besuchen. An der UDK (Universität der Künste) in Berlin hat er Malerei studiert. Nach seiner Meisterschülerzeit hat er mit dem Masterstudiengang „Kunst im Kontext“ noch „einen draufgelegt“, um sich der Museologie zu widmen. Seine Abschlussarbeit, das Projekt „Al Burak“, erregte viel Aufsehen. In diesem Projekt präsentierte der Künstler und Student ein Skelett der besonderen Art: Ein geflügeltes Pferd mit Menschenkopf. Nach einer Sage in islamischen Erzählungen sei Mohammed mit diesem besonderen Pferd, namens Al Burak, in den Himmel gefahren. Baalbaki hat die Geschichte mit fiktiven Wissenschaftlern, die dieses Skelett ausgegraben hätten, untermauert und in einem musealen Rahmen ausgestellt. Um zu beobachten und zu prüfen, wie glaubhaft seine Geschichte im musealen Kontext wirke. Said Baalbakis Tätigkeitsfeld reicht vom Wahrnehmen über das Geschichteschreiben bis hin zur Glaubwürdigkeit des musealen Kontextes. Er wolle sich mit Ideen ausdrücken, selbst Geschichten ausdenken und damit Botschaften an den Betrachter senden. Er gehe folgenden Fragen auf den Grund: Wie schreibt man Geschichte? Welche Bedeutung haben Kunstobjekte im musealen Raum? Woher kommt die Glaubwürdigkeit im musealen Raum?

Von der Kenntnis über die Passion zur Besessenheit

2014ist Said Baalbaki auf die surreal, fast fiktiv wirkende Geschichte des Jussuf Abbo gestoßen. Sein Mentor und Kunstprofessor Marwan habe ihm mehrfach über einen erfolgreichen syrischen Bildhauer erzählt. Als er drei Radierungen des Künstlers auf dem Markt zum ersten Mal sah, wusste er gleich, dass es sich um Abbo handelte. Abbos Ruhm, seine Bekanntheit und die vielfältigen Kontakte in Berlin haben Said fasziniert. So hatte Abbo Beziehungen in der Boheme, bei Dichtern, bei Künstlern und zu namhaften Galeristen und Kunstkritikern gepflegt. Aber seine zerstreuten Werke und sein zerstörtes Leben in England/London hatte sein, Baalbakis, Interesse an diesen heimatlosen Prinzen noch einmal gesteigert. Zu Beginn war Said ein passionierter Sammler. Er hatte Papierarbeiten und die Geschichten zu der Person Jussuf Abbo gesammelt. Doch aus der Passion hatte sich bald eine Besessenheit entwickelt. Diese führte dazu, dass er mittlerweile 3 Regale mit unterschiedlicher Literatur und Katalogen von Abbos Ausstellungen gesammelt hatte. Für Said Baalbaki ist Jussuf Abbo nicht nur ein Vorbild. Ihn fasziniert sein künstlerisches Heimatverständnis. So hatte Abbo ein Beduinenzelt in seinem Atelier in Berlin aufgestellt. Vor allen Dingen widmete er sich folgender Frage: Wie konnte ein Künstler, der über 10 Jahre Reputation genießen konnte, innerhalb von 15 Jahren komplett in Vergessenheit geraten?

Parallelen und Unterschiede der beiden orientalischen Künstler

Parallelen der Künstler zeigen sich in der Fremdenrolle in Berlin, im Studium an derselben Uni und im gleichen Wohnbezirk. Das hatte Said Baalbaki motiviert, sich mit dem Leben und Schaffen von Jussuf Abbo auseinanderzusetzen. Die Unterschiede lagen in der künstlerischen Arbeit selbst. Jussuf Abbo war in erster Linie Bildhauer und in zweiter Linie Graphiker. Said arbeitet vorwiegend als Maler und hat selbst viele Lithographien erstellt. Beiden gemeinsam ist die handwerkliche Geschicklichkeit. Dabei war Jussuf Abbo ein Materialfetischist: Von Druckgraphik über Kaltnadelradierung und Lithographie (Kreide, Tusche, Umdruck) bis zu Plastiken (geschnittenem/geritztem Gips und Zement, gegossenem Zinn, Bronze, Gold und Silber sowie modellierter Keramik). Sein starker Wille der Suche und die Bereitschaft Neues zu entdecken hat den Künstler angetrieben, seine besten Mittel zu finden.

Said über die Ausstellung „Jussuf Abbo – Der heimatlose Prinz“

Die Musealisierung der Ausstellung ermöglicht es, die Historizität mit den Werken des Jussuf Abbo zu verbinden. Geschichten um Jussuf Abbo und seine geographische Herkunft spielen in der Zusammenstellung eine große Rolle. Die Ausstellung bietet eine chronologische Orientierung. Allerdings lassen sich nur wenige Motive direkt in Verbindung mit dem Thema Heimat bringen. Eine Art Ersatzheimat stellen die Bildnisse von Frauen dar. Dem Körper des Menschen werden einige typographische Aspekte zugeschrieben.. Die Frau ist als Thema sehr präsent in Jussufs Arbeiten. Als Jussuf seine Heimat verlassen hatte, hatte er ein Stück der Heimat zurückgelassen. Ab da hat er um seine Heimatidentität gekämpft. Dabei hat ihn seine Hoffnung angetrieben, sich auf die Suche nach einem Ersatz zu begeben. Der einzige überlieferte Text von Jussuf Abbo war das in präislamischer Form geschriebene Gedicht. In diesem beschreibt er seine Heimat als ein Mädchen, zu dem er allzu gern zurückgekommen wäre. Die starke Sehnsucht nach Materialität und seinem Durst nach Wissen hat den raffinierten, sensiblen Menschen Jussuf Abbo angetrieben.

Der Exot in inneren und äußeren Konflikten

Jussuf Abbo hat sein exotisches Auftreten gepflegt. Dieses Merkmal hat ihn in den 30ern in große Gefahr gebracht. Damit hat er dem Feindbild der Nationalsozialisten entsprochen: lockige Haare, dunkle Haut und Kontakte zu angefeindeten Leuten wie Flechtheim und Lasker-Schüler. Dies hat ihn gestresst und hat ihn ängstlich werden lassen. Die Bedrohung durch SS-Offiziere von außen trieb ihn zu einem psychischen Zusammenbruch.

Er war von Charakter bockig und schnell verletzbar. Dieses Verhalten war auf sein hohes Schutzbedürfnis und seine starken Schutzmechanismen zurück zu führen. Das hat häufig zu Streitereien mit anderen zur Folge gehabt. So war er mal sauer auf Kurt Schwitters wegen eines Grotesk-Gedichts. Er hat sich auch mal mit Else Lasker-Schüler gestritten, weil sie die Miete nicht bezahlt hat.

Auswandern ins Exil nach England

Sein 1. Versuch nach London 1934 zu fliehen über Bentheim ist gescheitert. Dort wurde er an der niederländischen Grenze zurückgewiesen wegen des fehlenden Passes. Seine Frau hingegen hat passieren können und hat in Amsterdam ihr erstes Kind auf die Welt gebracht. In England September 1935 angekommen, hat er künstlerisch keinen Fuß fassen können. Denn erst zwei Jahre später wären seine Kunstwerke eingetroffen. Seine Kisten mit den Werken hatte er bereits 1934 an eine Hamburger Reederei geschickt. Dort wurden seine Werke in einem Lager für ein Jahr aufbewahrt. Nach einem Jahr Lagerung in einer trockenen Halle wurden seine Werke vermutlich im Außenbereich gelagert. Als er 1937 die ausstehenden Gebühren beglichen hatte, hatte er die Lieferung seiner mittlerweile beeinträchtigten, teils zerstörten Werke erhalten. Unter Experten in England bekam Abbo Lob und Anerkennung für seine Kunst. Doch da England mit Deutschland im Krieg stand, wurden Künstler aus Deutschland selten in Ausstellungen aufgenommen. Da nutzte ihm auch sein Empfehlungsschreiben, das er 1937 erhalten hatte, nicht viel. Einige Zeit später hatten private Sammler seine Werke in zwei Ausstellungen in Deutschland und einer Ausstellung in England gezeigt. Diese hatten ihm zwar Aufmerksamkeit gebracht und seinen Bekanntheitsgrad gesteigert, aber hatten nicht sein Portemonnaie gefüllt. Insgesamt nahm Jussuf Abbo an drei Ausstellungen der Free German Leagues of Culture in England teil.

Staatenlos, aber immer die richtigen Papiere

Als er 1911 nach Berlin kam, hatte er einen osmanischen Pass. Während seine deutschen Kommilitonen zwischen 1914 und 1918 im Krieg waren, erlaubte ihm dieser Pass ungestört in Berlin weiter zu leben, zu studieren und zu arbeiten.

Einige Jahre später hatte sich in Folge des 1. Weltkrieges das Osmanische Reich aufgelöst und so wurde er ein Staatenloser. Nach England wanderte er mit einem ägyptischen Pass während des 2. Weltkrieges ein. Seine Kollegen mit einem deutschen Pass wie Meidner, Uhlmann, Schwitters waren in einem Internierungslager untergebracht worden. Und so war der heimatlose Künstler erneut im Besitz eines Passes, der ihm die Internierung ersparte.

Seine Hindernisse in England

Allerdings sei es ihm schwergefallen, in England als Bildhauer zu arbeiten. Denn dafür hätte er Atelier, Material, Werkzeug und Öfen gebraucht. Auch hatten wirtschaftliche Faktoren eine große Rolle in der skulpturalen Arbeit gespielt. In Deutschland hatte er auf bestimmte Freundschaften zurückgegriffen, um beispielsweise seine Keramiken zu brennen. Diese gab es in England nicht. Für Zeichnungen und Graphiken fehlte ihm häufig die Ruhe.

Zukunft deportiert & Karriere zerstört

In London brach für ihn eine sorgenvolle Zeit mit hohem psychischem Druck an. Seine häufige Aggressivität und Wut war für Außenstehende schnell erkennbar. Für viele unerkannt, waren ihm die Sensibilität, seine psychischen Zusammenbrüche und seine Hilflosigkeit geblieben. Um seine verarmte Familie (Frau mit 3 Kindern) durchzubringen, musste er schwer arbeiten. So hatte er sich bei Straßen- und Bauarbeiten einen Leistenbruch zugezogen und 1947 bei dem Gemüseanbau für seine Familie einen Finger verloren. Von da an war der Arm für das künstlerische Arbeiten zu schwach geworden.

Wegen der steigenden Armut zog die Familie aufs Ländliche, nach Newick/Sussex, wo er einen Bauwagen zu seinem Atelier umfunktionierte. Er pendelte dann zwischen Newick und seinem Londoner Atelier, wo er auch bis 1945 kampierte. Als ihn die Kündigung seines Ateliers wie ein Donnerschlag traf, zerstörte er die meisten künstlerischen Arbeiten, die in der Londoner Periode entstanden sind. Er widmete sich dem Antiquitätenhandel, um seine Familie zu ernähren.

Fortan arbeitete er in seinem Bauwagen, von seinen Kindern liebevoll Zugwagen genannt. Überspitzt kann man sagen: seine Zukunft wurde deportiert und seine Karriere zerstört worden.

Redaktion
Celler Presse

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