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Abschiebung nach Afghanistan – human?

CELLE. Am gestrigen Nachmittag versammelten sich knapp 50 Celler Bürger vor dem neuen Rathaus zu einer Kundgebung gegen die bevorstehende Abschiebung von 3 Afghanen aus Niedersachsen. Unter anderem soll Mojtaba H. aus Celle bereits in Abschiebehaft auf die Abschiebung in den kommenden beiden Tagen warten.

Ein Teilnehmer von LIST (Land in Sicht- Tranisition) trug die Pressemitteilung des niedersächsischen Flüchtlingsrates vor: https://www.nds-fluerat.org/49717/aktuelles/nichts-ist-gut-in-afghanistan-deshalb-alle-abschiebungen-stoppen/ Im Gespräch erzählt Referent der Geschäftsführung vom Flüchtlingsrat Niedersachsen Sebastian Rose, dass allein in Niederachsen 2100 geduldete Afghanen ohne Aufenthaltsrecht leben würden. Laut dem Erlass der Landesregierung von 2017 dürften Afghanen nur abgeschoben werden, wenn sie als Gefährder oder Straftäter (Mord/Totschlag) in Erscheinung treten würden. Vor gut 1,5 Jahren habe die Landesregierung diese Abschiebeliste aufgesetzt. Unklar sei indes, ob diese vor kurzem noch mal geprüft worden sei. Derzeit säßen 3 Männer unter 30 Jahren in Abschiebehaft, darunter ein schwer psychisch Erkrankter mit Psychotherapiebedarf. Es habe vor kurzem Gerichtsurteile in Oldenburg und Hannover gegeben, die bestätigen, dass selbst gesunde Männer in Afghanistan verelenden würden.

Ute Labudde (Haupt- und ehrenamtliche Begleitung für minderjährige Geflüchtete):

In ihrer Arbeit mit geflüchteten Minderjährigen habe sie Mojtaba H. aus Afghanistan kennengelernt. Er werde am morgigen Tag oder Mittwoch nach Afghanistan abgeschoben. Wie viele andere sei Mojtaba als Kind mit Mutter und Schwestern von Afghanistan in den Iran geflüchtet und dort aufgewachsen. Sein Bruder wäre in Herat getötet worden. Da sein Vater schon sehr alt gewesen sei, sei dieser in Afghanistan zurückgeblieben. Mojtaba habe ihn nie wiedergesehen. Der Vater sei gestorben, als Mojtaba schon in Deutschland gewesen sei. Im Iran sei Mojtaba von der iranischen Armee zum Kampf in Syrien eingezogen worden. Nach seiner Rückkehr, habe die Mutter ihn angefleht nach Europa zu flüchten, um nicht auch noch ihren letzten Sohn zu verlieren. (…) Er habe sehr unter Trennungen – besonders der von seiner Mutter – gelitten. Auch hier wären viele Umzüge und damit weitere Trennungen zu vertrauten Menschen erfolgt. Er habe keinen festen Halt gehabt. 2017 habe er seine jetzige Freundin kennengelernt. Eine Heirat sei geplant gewesen. Er habe als Minderjähriger 2017 eine Jugendstrafe bekommen, die aber gegen Auflage eingestellt worden und zu diesem Zeitpunkt auch sein Asylantrag abgelehnt worden sei.

Seine Mutter und Schwestern wären inzwischen in der Türkei. In Afghanistan habe er niemanden. Er kenne dieses Land, in dem er nur geboren wurde, nicht. Er kenne sich dort nicht aus. Auch die Hilfsorganisationen hätten sich aus Afghanistan zurückgezogen. Mojtaba spreche Deutsch und würde nach Abzug der deutschen Soldaten dort als Unterstützer der Besatzer gesehen werden. In Afghanistan habe sich die Zivilbevölkerung gegen die Taliban bewaffnet.

Helga Habekost berichtete über die Abschiebung einer 38-jährigen Romni mit einer 6-jährigen sprachbehinderten Tochter in der vergangenen Mittwochnacht. Ohne Unterstützung und Schutz sei die Romni der Verelendung im eigenen Land ausgesetzt.

List (Land in Sicht – Transition):

„Leute – hier im Rathaus – ein kleines Rädchen in der Abschiebepraxis – schauen tatenlos zu, wie junge Menschen in eine Zukunft abgeschoben werden, die keine Zukunft ist.“ (…) Es ginge dabei um junge Menschen, die das machen, was alle jungen machen würden. Wenn man zwischen 16 und 23 Jahren alt sei, begehe man vielleicht auch mal kleine Diebstähle oder Drogendelikte. Da würden Menschen hier in diesem Land so unterschiedlich behandelt werden: Einige würden in ein bürgerkriegsversehrtes Land zurückgeschickt und andere werden locker von den Rechtsanwälten von Vati oder Mutti aus der Situation rausgeholt werden. Wenigstens der niedersächsische Flüchtlingsrat funktioniere. Denn dieser habe jenen jungen Menschen, der nun in Abschiebehaft sitzen würde, einen Anwalt zur Seite gestellt. Das wecke die Hoffnung, dass die ein oder andere Abschiebung – vielleicht auch alle Abschiebungen – verhindert werden könnten. Jetzt komme es darauf an, Überzeugungsarbeit gegenüber politisch Verantwortlichen zu leisten, um weitere Abschiebungen nach Afghanistan zu verhindern.

Frank Küster (SPD-Kandidaten für den Ortsrat Klein Hehlen / Lobetal – Jugendhilfe – Flüchtlingsarbeit) schildert die Situation von jugendlichen Afghanen aus seiner Arbeit. Sie gingen hier zur Schule, hätten aber auch unglaubliche Angst um ihre zurückgebliebenen Verwandten. Fast täglich würden irgendwelche Leute dort wegen Bombenanschlägen der Taliban, die in ihrem Dorf gelebt hätten oder im weiteren Kreis der Verwandtschaft, versterben. Es beschäftige die Jungs so unheimlich, dass sie Schlafstörungen, teilweise sogar Panikattacken haben. Sie hätten schwerst traumatisierte Jugendliche bei sich im Haus. Es sei ganz schwer, einen geeigneten Therapieplatz für ein Minimum an psychologischer Hilfe zu finden. Je mehr die Taliban in Afghanistan die Herrschaft übernehmen würde, desto mehr Geflüchtete würden in Deutschland Zuflucht suchen. Es sei furchtbar mit anzusehen, wie die Jugendlichen über die Medien sich mit den Folgen des Bürgerkrieges informieren und darunter leiden würden. Daher nerve ihn diese Abschiebepraxis tierisch. Als SPD-Mitglied schäme er sich sehr für diese Abschiebepraxis, die unter dem SPD-Innenminister Boris Pistorius durchgeführt werde. Er wolle mit den Kollegen vor Ort in das ernstere Gespräch gehen, weil ihn das sehr beschäftige. Es mache ihn einfach nur noch sprachlos.

Redaktion
Celler Presse
Fotos: Celler-Presse.de

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