Zum Inhalt springen
Anzeige
Anzeige

Lagebild „Organisierte Kriminalität in Niedersachsen 2020“: Geldautomatensprengungen, Clankriminalität und Straftaten zum Nachteil älterer Menschen im Fokus

NIEDERSACHSEN. Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, und die Niedersächsische Justizministerin, Barbara Havliza, haben am heutigen Montag (22.11.2021) gemeinsam das Lagebild der Justiz und der Polizei „Organisierte Kriminalität in Niedersachsen 2020“ vorgestellt.

Innenminister Pistorius: „Organisierte Kriminalität steht für eine hochkomplexe Form von Kriminalität, die im Stile großer Unternehmen streng hierarchisch organisiert und auf maximalen Gewinn ausgerichtet ist. Bürgerinnen und Bürger können davon meist nur die Spitze des Eisberges erkennen. Was sich darunter abspielt, ist Menschenhandel, Drogenhandel oder Schleuserkriminalität, ohne Skrupel und Mitleid für die arglosen Opfer. Massenhafte Phishing- oder Erpressungs-Mails, organisierte Autodiebstähle, Geldautomatensprengungen oder betrügerische Callcenter-Anrufe gerade bei älteren Menschen. Hinter diesen Taten stecken fast immer organisierte Kriminelle. Darum haben wir schon vor Jahren das Personal bei der Polizei zur Ermittlungsarbeit deutlich und sukzessive verstärkt und auch die Organisationsstrukturen in den Behörden immer weiter optimiert.“

Justizministerin Havliza betont: „Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gehört zu den zentralen Aufgaben der niedersächsischen Justiz. Die Zahlen des vergangenen Jahres zeigen: Die mit der Verfolgung von Organisierter Kriminalität befassten Spezialabteilungen der niedersächsischen Staatsanwaltschaften hatten erneut gut zu tun. Die Verfahren bei den Staatsanwaltschaften lagen schwerpunktmäßig im Bereich des Rauschgifthandels mit 48 Prozent. Es folgen Delikte der Eigentumskriminalität mit 23 Prozent und der Wirtschaftskriminalität mit 10 Prozent. Bei den Gerichten haben wir deshalb in diesem Jahr die Strafkammern an den Landgerichten personell um 20 Stellen verstärkt. 33 Strafverfahren wurden abgeschlossen. 105 Angeklagte wurden verurteilt, 24 mehr als 2019.“

Wesentliche Inhalte des Lagebildes:

Die niedersächsische Polizei führte im Jahr 2020 im Auftrag niedersächsischer Staatsanwaltschaften 58 Ermittlungsverfahren (Vorjahr 53) durch, 10 weitere Ermittlungskomplexe wurden von den Bundesbehörden (BKA, Bundespolizei und Zoll) bearbeitet. Bei diesen 68 gemeldeten Verfahren ging es zum größten Teil um den Handel mit oder Schmuggel von Betäubungsmitteln (30 Verfahren). Ein weiterer Schwerpunkt der Ermittlungen lag im Bereich der Eigentumskriminalität (18 Verfahren), dazu gehören auch die Sprengungen von Geldautomaten.

Insgesamt wurde gegen 520 Tatverdächtige aus 40 verschiedenen Staaten ermittelt. Tatverdächtige deutscher Nationalität stellten dabei mit 280 Personen den größten Anteil, gefolgt von den türkischen (49) und albanischen (34) Staatsangehörigen.

Der hochgerechnete Gesamtschaden der OK lag im Jahr 2020 bei etwa 132 Mio. Euro. Insgesamt konnten Vermögenswerte von ca. 7,8 Mio. Euro vorläufig gesichert werden, etwas weniger als im Vorjahr. Im mehrjährigen Vergleich ist jedoch insgesamt ein deutlicher Anstieg der gesicherten Vermögenswerte festzustellen, was auf die Intensivierung der Vermögensabschöpfung bei Justiz und Polizei sowie die seit 2017 geänderte Rechtslage in diesem Bereich zurückzuführen sein dürfte.

Positiv hat sich auch der landesweite Einsatz der sogenannten Financial Intelligence Officer (FIO) ausgewirkt, die als Finanzexperten in den Zentralen Kriminalinspektionen die Ermittlungen sowohl operativ als auch konzeptionell unterstützen.

Schwerpunkte der OK:

Rauschgiftkriminalität

Mit insgesamt 30 Verfahren bildet die Rauschgiftkriminalität erneut den herausragenden Schwerpunkt der Ermittlungen. Insgesamt wurde gegen 230 Tatverdächtige ermittelt, bei den Drogenarten stehen Kokain und Cannabis-Produkte im Vordergrund, Heroin hat dagegen an Bedeutung eingebüßt. Die Ermittlungen zeigen, dass eine stetig steigende Zahl an Tätergruppierungen unterschiedlichste Drogenarten besitzt.

Pistorius: „Mit Rauschgiftkriminalität wird im Bereich der Organisierten Kriminalität leider immer noch unglaublich viel Geld verdient. Das Leid, das dadurch bei Drogenabhängigen und auch ihren Familien hervorgerufen wird, interessiert die Täter kein bisschen. Darum tun wir als Sicherheitsbehörden alles, um die Drogenkriminalität von Kleindealern bis zu den Hintermännern mit allen Mitteln zu bekämpfen.“

Eigentumskriminalität

Die Anzahl der bearbeiteten Verfahren im Bereich der Eigentumskriminalität stieg im Jahr 2020 von 15 Verfahren im Jahr 2019 auf 18, die Anzahl der Tatverdächtigen von 121 auf 141 an.

Gerade im Bereich der Eigentumskriminalität sind die Übergänge zwischen Organisierter Kriminalität und der Straftatenbegehung durch mobile, organisierte Banden (Sog. „Mobile Organized Crime Groups“ – MOCG) oftmals fließend, so dass eine Zuordnung zur OK nicht immer eindeutig erfolgen kann, obwohl die Täter ähnlich organisiert und strukturiert vorgehen.
Die Bandbreite der Delikte reicht von organisierten Ladendiebstählen über Auto- und Ladungsdiebstähle („Planenschlitzen“) bis hin zu Wohnungseinbrüchen und Geldautomatensprengungen.

Minister Pistorius: „Die öffentliche Wirkung von Geldautomatensprengungen ist fatal, denn auch aufgrund der Vielzahl der Taten entsteht der Eindruck, als wenn ein bisschen Sprengstoff reichen würde, um an das gesamte Bargeld aus einem Geldautomaten zu kommen. In unseren Nachbarländern, zum Beispiel in Belgien oder den Niederlanden, gibt es inzwischen gesetzliche Verpflichtungen, wodurch die Banken sich selbst besser schützen müssen. Dort sind die Geldautomaten schon baulich sehr viel besser vor solchen Taten geschützt, das scheint sehr gut zu funktionieren. Denn nicht umsonst weichen die Täter vorwiegend nach Deutschland aus, um hier ihre Taten zu begehen. Ich appelliere deswegen an die Banken und die entsprechenden Verbände hier in Deutschland, dass sich die Bankinstitute zukünftig auch auf freiwilliger Basis besser gegen diese Taten schützen. Denn am Ende geht es auch um Gefahren für Bankkunden und Anwohner, die im schlechtesten Fall durch diesen Sprengstoff erheblich verletzt werden können.“

Clankriminalität

Im Jahr 2020 wurden sechs OK-Komplexe gemeldet, bei denen die Tatverdächtigen in kriminelle Clanstrukturen eingebunden waren und/oder Bezüge zu ethnisch abgeschotteten Subkulturen bzw. Familienclans festgestellt wurden. Im Jahr 2019 waren es noch zen Verfahren. Insgesamt wurde gegen 47 Tatverdächtige ermittelt (2019: 65). Diese agierten überwiegend im Bereich der Rauschgiftkriminalität.

Trotz der gesunkenen OK-Fallzahlen bildet die Bekämpfung krimineller Clanstrukturen seit Jahren einen Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung in Niedersachsen. Dabei stellen das hohe Mobilisierungspotential vorhandener Familienstrukturen sowie die teilweise ausgeprägte Ablehnung deutscher Gesetze und Normen, verbunden mit einer starken Abschottung, die Ermittlungsbehörden vor große Herausforderungen. Die zum 01.03.2018 in der Polizei Niedersachsen in Kraft gesetzte Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen sowie die seit dem 17.11.2021 geltende „Gemeinsame Richtlinie des Niedersächsischen Justizministeriums und des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften und Polizei“ gewährleisten inzwischen landesweit einheitliche Standards sowie einen ganzheitlichen und niedrigschwelligen Bekämpfungsansatz unter enger Vernetzung der Einsatz- und Ermittlungsbereiche.

Ministerin Havliza: „Clankriminalität ist nicht gleichbedeutend mit Organisierter Kriminalität. Das Gefährliche an der Clankriminalität ist auch nicht allein der wirtschaftliche Schaden, so er sich denn bemessen lässt. Das Gefährliche ist der Eindruck, es gebe Kriminelle in unserem Land, die machen können, was sie wollen und keiner tut etwas. So ein Gefühl darf sich in einem Rechtsstaat nicht verbreiten. Unsere Linie in Niedersachsen ist hier eindeutig: Polizei und Justiz gehen geschlossen und entschlossen gegen Clankriminalität vor.“

Cybercrime

Im Jahr 2020 wurden in Niedersachsen vier Cybercrime-Verfahren im engeren Sinne der Organisierten Kriminalität zugeordnet, die Ermittlungen richteten sich gegen 14 Tatverdächtige. In allen erfassten Verfahren spielte „Ransomware“ eine Schlüsselrolle, also eine Schadsoftware, durch die Nutzerdaten oder Datenbanken verschlüsselt und damit dem Zugriff berechtigter Benutzer entzogen werden. Die Täter fordern anschließend in der Regel hohe Summen „Lösegeld“ für die Entschlüsselung bzw. Wiederherstellung der Daten.
Ransomware-Akteure handeln inzwischen hochgradig organisiert und arbeitsteilig, im Cyberraum hat sich hieraus ein „Ransomware-as-a-Service-Modell“ entwickelt. Dafür ist wesenstypisch, dass Kriminelle sich im Darknet Sachverstand von kriminellen Hackern „einkaufen“ und die Erlöse der Erpressungen am Ende aufgeteilt werden.

Dieses sich rasant entwickelnde Deliktsfeld erfordert nicht nur herausragend ausgebildete Ermittlerinnen und Ermittler, sondern macht eine dynamische Anpassung von Ermittlungsmethoden und internationaler Zusammenarbeit zunehmend erforderlich.

„Straftaten zum Nachteil älterer Menschen“

In den für 2020 gemeldeten sechs Ermittlungsverfahren [2019: 3] der Eigentums- und Wirtschaftskriminalität spielten Tatbegehungsweise als „Falsche Polizeibeamte“ und „Call-Center-Betrugsvarianten“ eine zentrale Rolle. Insgesamt wurde gegen 48 Tatverdächtige ermittelt.

Die Opfer wurden in der Regel durch empathische und sehr geschickte Gesprächsführung am Telefon dazu veranlasst, Geld und Vermögenswerte an die Täter weiterzugeben. Die Täter handeln inzwischen regelmäßig aus dem Ausland heraus und nutzen technische Möglichkeiten wie z.B. die Rufnummernverschleierung. Im Zusammenhang mit dem Phänomen der Straftaten zum Nachteil älterer Menschen hat das LKA Niedersachsen ein mehrstufiges Präventionskonzept erarbeitet.

Havliza: „Im gesamten Bundesgebiet kommt es seit einigen Jahren zu einem signifikanten Anstieg von immer schadensträchtigeren Betrugsstraftaten mit dem Modus Operandi „Falscher Polizeibeamter“ oder „Enkeltrick“. Vor allem beim Landgericht Osnabrück wurden hier in jüngerer Vergangenheit mehrere Verfahren erfolgreich abgeschlossen und die Täter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Rechtspolitisch sind Straftaten zum Nachteil älterer Menschen aktuell wieder in der Diskussion. Erst vor wenigen Tagen hat die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister sich mit der Stimme Niedersachsens dafür ausgesprochen, das Strafgesetzbuch im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit älterer Menschen stärker in den Blick zu nehmen.“

Trends in der OK-Bekämpfung:

Facettenreichtum und Komplexität in der Organisierten Kriminalität nehmen zu

Die klassischen Deliktsfelder der OK werden weiterhin festgestellt, es kommen allerdings sowohl komplexere als auch immer wieder neue Phänomene und Varianten hinzu.
Die Polizeien der Länder reagieren auf die hohe Dynamik in diesem Bereich zunehmend länderübergreifend unter Nutzung projektbezogener Bekämpfungsansätze.

Internationalisierung der Organisierten Kriminalität

Im Jahr 2020 wurden in 45 der insgesamt 68 Verfahren internationale Begehungsweisen bzw. Bezüge festgestellt, damit waren in zwei Drittel der Verfahren bereits Herausforderungen des Zusammenwirkens inländischer und ausländischer Polizeidienststellen und Justizbehörden erforderlich. Im Rahmen internationaler Zusammenarbeitsformen wird die unterstützende und koordinierende Rolle von Europol und Eurojust zunehmend wichtiger.

Minister Pistorius: „Die länderübergreifende und vernetzte Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden wird angesichts der zunehmenden Internationalität und Komplexität der Verfahren immer wichtiger. Europol nimmt bereits heute wichtige koordinierende Aufgaben, wie zuletzt auch bei der Zerschlagung von DarkMarket-Netzwerken, wahr. Europol sollte darum mittelfristig eigene Exekutivbefugnisse bekommen, wie ich es schon seit einigen Jahren fordere. Was wir insbesondere auch zur erfolgreichen Bekämpfung grenzüberschreitender
Organisierter Kriminalität brauchen, ist eine Art europäischen FBIs – unter dem Dach von Europol. Gerade die Bekämpfung der OK kann mit einem zunehmend starken ‚Player Europol‘ noch deutlich durchschlagskräftiger sein.“

Digitalisierung in der Organisierten Kriminalität

In der Bekämpfung der OK spielen digitale Ermittlungen inzwischen eine herausragende Rolle. Sowohl im Bereich von Cybercrime-Ermittlungen als auch in den klassischen Deliktsfeldern sehen sich Polizei und Justiz immer stärker digitalen Herausforderungen gegenüber: Big Data im Zusammenhang mit digitalen Beweismitteln, Umgang mit Verschlüsselung und Anonymisierung, Nachverfolgung von Kryptowerten usw.

Die Ermittlungsbehörden müssen dafür immer mehr eigene digitale Kompetenzen aufbauen und zunehmend auch auf externe bzw. wissenschaftliche Expertise zurückgreifen.

Ministerin Havliza: „Vor allem die Encrochat-Verfahren zeigen eindrücklich, wie wichtig der Zugriff auf verschlüsselte Kommunikationsdaten ist, insbesondere um die Hintermänner und Drahtzieher der schweren und organisierten Kriminalität belangen zu können. Ein Misstrauen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ist nicht gerechtfertigt. Die sogenannten Kryptotelefone werden primär von hochgradig kriminellen Personen genutzt. Es ist daher richtig und wichtig, für diese schweren Formen der Kriminalität auch auf verschlüsselte Kommunikation zugreifen zu können.“

PR

Hinweis zu der Meldung
Diese Seite zeigt gesponsorten Marketing-Inhalt, Quell- und Informationslinks sowie extern eingespielte Banner und Flash-Anzeigen.



Anzeige