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Dialog der Religionen

  • Celle

CELLE. Was ist der Unterschied zwischen Sunniten, Schiiten und Aleviten, war in der Woche das Thema des Fachvortrags von Michael Többens M.A. der Gesellschaft für Sicherheitspolitik im Beckmann-Saal. Többens nahm die Bescher auf eine Reise durch die Geschichte und die Entstehung des muslimischen Glaubens sowie den Unterschieden zu anderen Religionen.

Der Religionswissenschaftler Michael Többens M.A. berichtete in der letzten Woche in einem aufschlussreichen Vortrag über die geschichtliche Entwicklung des muslimischen Glaubens. Die Celler Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, ehemals Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik (GfW), lud dabei Interessierte Bürger in den Beckmann-Saal. Többens wollte jedoch nicht mit Vorurteilen spielen, sondern nahm die Besucher auf eine sachliche Reise durch die Geschichte.

Über das Schisma von Abu Bakr bis, Umar ibn al-Chattab bis, Uthman ibn Affan bis und Ali ibn Talib, bis zu den 114 Suren des Koran, gab Többens den Besuchern einen tiefen Einblick. Das Fundament seien neben dem heiligen Buch, unter anderem auch die 12 bei den Schiiten beziehungsweise 7 bei den Sunniten anerkannten Imame.

Grundsätzlich sei zu wissen, dass das Sunnitentum und das Schiitentum fast parallel entstanden sind, jedoch nicht aus einer Reform heraus, wie bei den Protestanten, machte Többens deutlich. Er zeigte anschließend in seinem Vortrag die elementaren Unterschiede der größten muslimischen Glaubensauslegungen der Sunniten und Schiiten auf.

– Die sunnitischen Herrscher der muslimischen Gemeinschaft sollen dem Stamm Muhammad, den Qaraysh, angehören und von der Gemeinschaft bestätigt werden. Er ist Richter und Herrführer, bringt das Gesetz Gottes zur Anwendung, besitzt jedoch keine Lehrautorität.

– Auf der schiitischen Seite hingegen ist es ein direkter Verwandter Muhammads der muslimischen Gemeinschaft, der Imam. Er ist religiöser Führer, der heute „in der Vergangenheit“ lebt und von dort aus Weisungen erteilt. Er besitzt die oberste Lehrautorität, er ist unfehlbar und sündlos.

– Ebenfalls unterscheiden die Sunniten von den Schiiten, dass sie am Ende der Zeit den Mahdi erwarten, der von einigen sunnitischen Theologen mit Jesus Christus gleichgesetzt wurde. Insgesamt spielt der Mahdi-Glaube aber im sunnitischen Islam keine bedeutende Rolle.

– Für die Schiiten hingegen ist der Glaube an den auf die Erde kommenden Mahdi von größter Bedeutung. Er wurde häufig mit dem in der Verborgenheit lebenden Imam gleichgesetzt. Alle Menschen werden sich bei seinem Kommen dem schiitischen Glauben zuwenden müssen und der Mahdi wird die Scharia auf Erden aufrichten.

– Doch auch weltlich trennen die Glaubenszweige der Schiiten und Sunniten einiges. Zum Thema der Ehe, lehnen die meisten Sunniten, die für eine begrenzte Zeit geschlossene Ehe, für die die Frau eine Bezahlung erhält, als eine Art der „Prostitution“ ab.

– Das steht der schiitischen Auffassung entgegen, die mehrheitlich vertritt, dass die „Zeit“ oder „Genußehe“ eine von Muhammad praktizierte und daher auch heute erlaubte, je empfohlene Eheform sei.

Der Religionswissenschaftler Michael Többens M.A. zeigte anhand dieser aber auch weiterer Gegenüberstellungen, dass die Glaubenszweige der Sunniten und Schiiten sich in wesentlichen Bestandteilen unterscheiden.

Soweit die Glaubensauslegungen auch auseinander gehen, gibt es bei den Muslimen übergreifende Reformer und große Denker. Als Reformer des Islam werden unter anderem Sayyid Muhammad ibu Safdar und Muhammad „Abduh“ Anfang des 20. Jahrhunderts gesehen. Des Weiteren ist auch Sayyid Abu Al-Ala Mawdudi ein wichtiger Denker allerdings in der litaristischen Auslegung.

In die Reihe der Denker gehört aber auch Hasan Ahmad‘ Ab dar-Rahmán al Banná. Er war der Gründer der Muslimbrüder und schaffte damit eine straffe Organisation, die schon kurze Zeit später unter Verruf geriet. Innerhalb der gegründeten Muslimbrüder stach Sayyid Qadt als radikaler aber für viele Muslime zudem als wichtiger Denker hervor.

Neben den großen muslimischen Glaubenszweigen der Schiiten und Sunniten gibt es aber auch noch die Alawiten, denen unter anderem der syrische Machthaber Baschar Hafiz al-Assad angehört. Es handelt sich bei den Alawiten um eine sehr strenge Auslegung, in der eine Konversation nicht möglich ist und der Vater immer Alawit sein muss. Die Alawiten haben eine Art Geheimwissen um den Glauben und wurden lange Zeit von den anderen Glaubensmehrheiten unterdrückt.

Außerdem kommen noch durch eine Verästelung, die im 11. Jahrhundert in Ägypten entstand, die Drusen hinzu. Die Drusen sind stark vom islamischen Glauben geprägt, beigemischt sind allerdings auch Hinduelemente, was sie zu einer eigenständigen Religion macht.

Többens versuchte die Ereignisse chronologisch und stets verständig aufzuarbeiten. Dies schloss auch die Brücke zur PLO und der Hisbollah (Partei Gottes) mit ein. Organisationen, die vom Glauben geprägt, sich als politische Organisationen verstehen, von vielen anderen Staaten dennoch als Terrororganisation gesehen werden.

Durch ihre Präsenz musste der Religionswissenschaftler auf den Islamischen Staat (IS), auch bekannt unter den Abkürzungen ISIS oder ISIL, zu sprechen kommen. Ihr Glaubensbekenntnis haben sich die Kämpfer des IS gleich auf die Fahne geschrieben, so übersetzt Többens die Worte „Es gibt keinen Gott außer Gott“ und „Allah ist der Gefährte Mohammeds“. Die Gruppierung ist seit 2003, nach der Verkündigung des Siegs der USA mit ihren Verbündeten gegen den Irak durch George W. Bush, aktiv. Die Armee war nicht mehr existent und die Sicherheitsstrukturen im Irak zerstört. Der IS konnte während dieser Zeit ungestört wachsen. 2004 schlossen sich die Kämpfer dann zunächst den Taliban an. Mit ihrem eigenen Kampf in Syrien, dem Irak und der gesamten Region stehen sie vor der Gründung eines eigenen Kalifats. Sie treten dann aus dem reinen Kampf und dem Terror ein Stück weit heraus, müssen aber damit auch eigene staatliche Strukturen aufbauen. Die generelle Schwäche der irakischen Gruppen sowie vieler zersplitterter kleiner Gruppen in Syrien machen den vermeintlich starken und straff organisierten IS interessant.

Die Besucher hatten am Ende noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Angesichts des Krieges im Irak und in Syrien wollte ein Besucher die Verbindung zum den Yeziden (Eziden) wissen. Többens stellte klar, dass die Yeziden in keinem Zusammenhang mit dem Islam stehen. Die Yeziden sind eine 3000 Jahre alte Region. Der Vogel Pfau ist hier die höchste Gottheit und sie lehnen eine Verschriftlichung ihrer Region ab. Der Vogel Pfau, neben dem hier praktizierten Kastensystem, sind nur einige Glaubensbestandteile die eher aus Indien bekannt sind.

Die weitere Publikumsfrage nach der Umsetzung eines einheitlichen Islamunterrichts an deutschen Schulen ist anhand der vielen Glaubensunterschiede schon etwas schwieriger. Die unterschiedlichen Glaubensauslegungen allgemein auf den Koran zu fokussieren ist nun eine Herausforderung, doch auch Gruppierungen wie die türkisch-islamische Union (DITIB) oder der Muslimrat spielen hier eine Rolle und konnten aufgrund der Komplexität im Rahmens des Vortrags nicht beantwortet werden.

Während einige muslimische Richtungen sich nicht nur auf den Glauben stützen, sondern auch Einfluss auf die Gesellschaftsordnung haben, stehe dies zu den unterschiedlichen Menschenrechtsvorstellungen im Gegensatz, so eine weitere Frage. So komme es immer wieder bei Fragen der Glaubensausübung zu Missverständnissen und Konflikten. Gerne berufe man sich dabei auf den Artikel 4 Absatz 1 der Glaubensfreiheit des Grundgesetzes, um muslimische Standpunkte der Glaubensauslegung durchzusetzen. Viel wichtiger sei jedoch der folgende Absatz 2, der die Religionsausübung im Rahmen der Landesgesetze gewährleiste. Erst im Zusammenhang beider Absätze könnte diese Frage Thema einer ganzheitlichen Betrachtung werden, ist sich Többens sicher. Aufbauend darauf fände Többens die Änderung der Formulierung in Absatz 1 „Glaubensfreiheit“ in Religionsausübung oder Religionswahlfreiheit für angebracht.

In einer weiteren Frage wollte ein Besucher wissen, ob es aktuell Reformbemühungen bei den Muslimen gebe. Többens verwies auf Denker und Reformer aus unserer Zeit. Doch die meisten Reformer leben in Gefahr, wenn sie grundlegende Glaubensstrukturen in Frage stellen. Sie schreiben unter Pseudonym im sicheren Ausland, jedoch gibt es sie.

Abschließend äußerte sich ein Besucher mit dem Zwischenruf „Am besten den ganzen Glauben abschaffen, damit auf der Welt Ruhe ist“, wobei der Besucher sicherlich alle Religionen damit meint.

Redaktion
Celler Presse

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