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Rat der Stadt Celle hat beschlossen: Jugendhilfe wird an Landkreis übertragen

CELLE. Mit 22 zu 18 Stimmen hat der Rat der Stadt Celle am Mittwochabend in namentlicher Abstimmung beschlossen, die Aufgaben der Jugendhilfe an den Landkreis Celle zu übertragen. Der Entscheidung war zuvor eine kontroverse Debatte der Ratsmitglieder vorausgegangen, zu deren Beginn zunächst eine geheime Abstimmung (abgelehnt) und darauffolgend die namentliche Abstimmung (Antrag angenommen) gefordert wurde.

In den anschließenden Redebeiträgen wurde deutlich: Die einen wollen die Übertragung der Aufgaben auf den Landkreis, die anderen nicht. Die Gegner der Entscheidung bemängelten vor allem, dass man ein Vorzeigeprojekt nun aus der Hand geben wolle. Negativ wurde zudem angesehen, dass während der Sitzung des Rates eine Grundssatzdiskussion geführt werde, die Details aber erst später erarbeitet werden sollen.

Die einzelnen Positionen waren klar und so war letztlich auch das Abstimmungsergebnis nicht verwunderlich: Die Mehrheit der Ratsmitglieder sagte Ja zur Übertragung der Jugendhilfe an den Landkreis Celle.

Alle uns vorliegenden Redebeiträge in der Reihenfolge, wie sie uns zugesandt wurden:

Dr. Jörg Nigge, Oberbürgermeister:

273 Millionen Euro Schulden, seit zehn Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt, seit zwei Jahren die Maßgabe einer Nettokreditaufnahme von Null und seit wenigen Woche die Bestätigung der Kommunalaufsicht, dass die dauernde Leistungsfähigkeit der Stadt nach wie vor nicht gegeben und es weiterhin nicht absehbar ist, wann wir diese wieder erlangen.

Dem gegenüber stehen seit Jahren keine ausreichenden Investitionen in Schulen, Kitas, Straßen, digitale Infrastruktur. Seit Jahren keine politischen Impulse dahingehend, wie wir unsere Mittel im sozialen Bereich so verteilen, dass wir größtmöglichen Nutzen haben.
Stattdessen Flickwerk, Gewurschtel und Polemik. Verharren auf dem althergebrachten, Ignorieren der massiven Probleme, in denen wir stecken und Täuschung der Öffentlichkeit, indem man so tut, als sei alles okay und als könne man die Probleme einfach so wegwischen.
Ich werde nicht müde seit Amtsantritt zu betonen, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, um den Turnaround zu schaffen und unsere wunderschöne Stadt wieder dahin zu bringen, wo sie hingehört: nämlich nach oben in der Rangliste der liebens- und lebenswerten Städte.
Dazu aber müssen wir Entscheidungen treffen. Entscheidungen, die nicht immer bequem anmuten, die vielleicht in manchen Bereichen zunächst weh tun, die aber strategisch gesehen uns allen den Weg in die richtige Richtung weisen können. Wer verzweifelt das Alte bewahrt, schadet diesem am meisten.

Wir können nicht die Lebenswirklichkeit ausblenden. Wir müssen uns ihr stellen und das heißt neue Wege zu gehen, wenn die alten Wege nicht zum Ziel geführt haben. Und dass wir nicht mehr auf dem richtigen Weg sind, kann – denke ich – niemand bestreiten. In diesem Fall heißt das, die Kooperationsmöglichkeiten mit dem Landkreis so weit zu nutzen, wie es für uns als Stadt den größten Nutzen bringt.
Das haben bereits andere Städte vor uns gemacht. Von den sieben großen selbstständigen Städten bereits vier. Der Befürchtung einiger, dass wir als große selbstständige Stadt damit unsere Bedeutung verlieren, kann ich also entschieden entgegentreten, das wird nicht der Fall sein.
Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft und bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit. Ich bin dreifacher Familienvater, ich weiß um die Notwendigkeiten Daher habe ich bei den Verhandlungen mit dem Landkreis von Beginn an unverrückbare Prämissen als Grundlage für eine Entscheidung gesetzt:
An erster Stelle standen die Mitarbeiter. Wichtig und nicht verhandelbar war für mich, dass diese mit ihrem Status Quo übernommen werden und niemand irgendwelche Nachteile zu befürchten hat. Das geht so weit, dass wir mit dem Landkreis sogar einen Personalüberleitungsvertrag abschließen, der eigentlich gar nicht notwendig wäre. Selbst Fortbildungen, Telearbeitsvereinbarungen etc. werden durch den Landkreis übernommen.

Ebenso wichtig und unverrückbar war mir die Qualität der Jugendhilfe. Diese hat für die Stadt Celle auf gleichem Level erhalten zu bleiben. Das wird unter anderem auch dadurch erreicht, dass die Mitarbeiter in genau der Struktur und Aufgabenzuteilung, in der sie sich gerade befinden und arbeiten, zum Landkreis wechseln werden.

Nun ist das mit der Qualität immer so eine Sache. Zu Beginn der Diskussion vor ein paar Monaten hörte ich häufig: Der Landkreis könne das nicht, da die sozialen Strukturen der Stadt ganz anders seien als im ländlichen Raum.

Es bedarf schon einer sehr besonderen Motivation, um als Laien, die wir hier fast alle sind, hochqualifizierten Menschen die Qualifikation abzusprechen, Sozialarbeit in der Stadt gestalten zu können. Vor allem aber verschließt man mit dieser Aussage die Augen vor der Realität. Es gibt kein richtig oder falsch, es gibt unterschiedliche Wege zum Ziel. Und auch bei uns ist nicht alles so, wie es sein sollte.

Ich habe es schon öfter angedeutet: Wir haben keine Kindergartenplätze mehr stadtweit, aber noch über 300 Anspruchsberechtigte, darunter viele Flüchtlinge. Von den vielen fehlenden Ganztagsplätzen möchte ich gar nicht erst reden, auch da haben wir starken Aufholbedarf, denn die Lebensrealitäten haben sich geändert.

Fängt aber präventive Arbeit nicht genau dort an? Bei den Jüngsten? Fängt nicht Integration dort an? Stattdessen verkaufte man noch vorletztes Jahr ein Grundstück, das eigentlich für den Kita-Bau vorgesehen war. Diese Thematik habe ich aber noch nie in den politischen Gremien vernommen.

Begleiten Sie mich gerne bei Besuchen in Familien, in denen es Kindern nicht so gut geht. Ich verspreche Ihnen Sie werden sich wünschen, dass diese Kinder möglichst viel Zeit behütet in Kindergärten verbringen können. Da können wir noch so viele Jugendclubs einrichten, diese Kinder erreichen wir nicht.

Da fängt meines Erachtens nicht nur Prävention an, sondern der Schutz von Kindern. Da hätte man vielleicht auch den kleinen Jungen, der vor wenigen Wochen in der Heese zündelte und von der Feuerwehr aus einer vermüllten Wohnung geholt wurde, schützen können.
Es gibt kein Richtig und kein Falsch in der Sozialarbeit. Aber jeder macht es gemäß seiner Qualifikation so gut er kann zum Wohle der Bürger. Nun haben im Laufe der Diskussion einige genau das erkannt. Und es ist charmant zu sehen, wie man nun versucht herum zu lavieren, um deutlich zu machen, dass natürlich auch die Landkreismitarbeiter entsprechend qualifiziert sind, aber doch die Qualität der Jugendhilfe zumindest gefühlt in der Stadt zu leiden habe, wenn der Landkreis die Arbeit übernehme.

Und noch eine Prämisse stand für mich unverrückbar im Vordergrund bei der Verhandlung mit dem Landkreis: Unsere Gestaltungs- und Reaktionsmöglichkeiten. Wir werden auch weiterhin die Jugendhilfe maßgeblich mitgestalten können, um bedarfsgerecht auf unsere Notwendigkeiten einzugehen. Wir werden die gesamten freiwilligen Aufgaben im Bereich der Jugendpflege von über 2 Millionen Euro fortführen. Darunter fallen die verschiedenen Jugendclubs, die Zuschüsse an Einrichtungen, die Stadtteilmanagements etc.
Auch die Kitas mit einem Volumen von etwa 11 Millionen Euro behalten wir bei uns, weil ich glaube, dass wir hier tatsächlich steuern können. Es kann also keine Rede davon sein, dass wir nur sparen, ganz im Gegenteil, wir gestalten auch weiterhin. Im Übrigen haben wir Einfluss auf den Kreis: Nicht nur durch unsere Kooperationswilligkeit, sondern auch über die Kreisumlage und durch unsere städtischen Kreistagsabgeordneten, die sich zum Wohle der Stadt einsetzen sollten, unabhängig von Parteigrenzen.

Aber ich sage auch deutlich: Selbst wenn wir die Jugendhilfe abgegeben haben sollten, wird es ein „Weiter so“ nicht geben können. Nicht nur die Kitas müssen gestärkt und die Mittel dafür umverteilt werden. Meines Erachtens muss über das gesamte Stadtgebiet eine neue Bedarfsanalyse erstellt werden.
Wenn wir tatsächlich sachgerecht steuern wollen, dann müssen wir auch bereit sein, Mittel umzuverteilen. Da, wo sie nicht mehr benötigt werden, abziehen, um sie da zu verwenden, wo sie notwendig sind. Es kann nicht immer nur heißen: Mehr Geld! Sondern es muss genau analysiert werden, wo brauchen wir denn eigentlich das Geld!? Wir verharren in Strukturen, die es in meiner Jugend bereits gegeben hat, die Rahmenbedingungen haben sich aber nicht zuletzt auch durch den Flüchtlingszuzug stark geändert, ohne dass bisher in großem Umfang darauf geantwortet worden ist. Ich nenne nur den Stadtteil Vorwerk. Auf diesen werden wir in Zukunft einen viel größeren Fokus legen müssen als bisher.

Und noch kurz zum Haushalt: Der städtische Haushalt wird definitiv entlastet. Ich möchte hier nicht weiter auf die Zahlen eingehen, aber es ist ein Trugschluss zu glauben, dass dem nicht so ist. Selbst bei einer Erhöhung der Kreisumlage werden wir um die Hälfte der Erhöhung entlastet. Hinzu kommen aber auch Entlastungen bei den Regie- und Querschnittskosten. Und ich sage deutlich: Wir entscheiden hier nicht für den Kreis, sondern für die Stadt. Wir haben jahrelang den Kreis dadurch entlastet, dass wir die Kosten selbst übernommen haben. „Rechte Tasche, linke Tasche“ passt also nicht, weil es nicht unsere Tasche ist, in die wir umverteilen. Sonst wären wir mit dem Landkreis auch bei den Verhandlungen weitergekommen, um eine Vollfinanzierung zu erhalten. Verständlicherweise aber lehnt der Landkreis das ab.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies nur als kurzes Resümee der letzten Monate.
Wir haben mittlerweile mehrere Monate über die Thematik diskutiert, wir haben Ihnen umfangreiche Informationspakete zukommen lassen. Wir haben die Entscheidung über diese Thematik verschoben, weil Sie berechtigten Klärungsbedarf sahen und wir haben bei zwei Informationsveranstaltungen zur Klärung aller Fragen umfassend Rede und Antwort gestanden. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, die Entscheidung heute nicht herbeizuführen.

Wie ich eingangs bereits sagte: Zur Gestaltung gehört auch Mut! Ich denke, es ist deutlich geworden, dass wir Leistungen abgeben, aber keine Leistungsfähigkeit verlieren. Dagegen aber finanziellen Spielraum, den wir dringend benötigen, hinzugewinnen. Für unsere Zukunftsfähigkeit empfehle ich Ihnen daher heute die Jugendhilfe dort zu verorten, wo sie eigentlich hingehört: beim Landkreis.
Dieser Empfehlung schließen sich im Übrigen auch viele Menschen aus der Praxis an: Kinder- und Klinikärzte des Landkreises Celle sowie die Polizei Celle, die aus Ihren Erfahrungen heraus eine Jugendhilfe aus einer Hand bevorzugen.

Harald Range (FDP):

„Wenn Du etwas loslässt, dann hast Du zwei Hände frei.“ Mit dieser chinesischen Weisheit möchte ich beginnen. Warum? Heute geht es darum, etwas loszulassen. Es geht darum, die Aufgaben der Jugendhilfe von der Stadt auf den Landkreis zu übertragen. Der Landkreis ist von Gesetzes wegen dafür zuständig.

Celle hat bislang von einer Ausnahmeregelung profitiert, weil es seit langer Zeit bereits ein Jugendamt hatte, also einen sogenannten Bestandsschutz genießt. Nun müssen wir entscheiden, ob wir auf diese Regelung verzichten und die Aufgabe dem Landkreis übertragen, wie es das Gesetz für den Regelfall vorsieht.

Grund für den Verzicht ist die finanzielle Schieflage, in die der Stadtrat und die Verwaltung die Stadt gebracht haben, weil sie jahrelang die Augen und Ohren vor den Veränderungen der wirtschaftlichen Lage der Stadt verschlossen haben. Ich nenne nur die Schließung des Telefunkenwerks und Abbau britischer und deutschen Militärs. Als ich kürzlich einem ehemaligen Banker aus Hannover erzählte, dass ich im Celler Stadtrat tägig sei, sagte er spontan, das müsse Spaß machen in so einer reichen Stadt zu wirken. Das ist die Außensicht. Wir alle wissen, dass sie nicht der Wirklichkeit entspricht.

Aus finanziellen Gründen auf die Jugendhilfe zu verzichten fällt uns allen nicht leicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamts leisten gute Arbeit. Mit den Angeboten der freien Jugendhilfe im sozialen Nahraum für Kinder und Jugendlichen sind wir bundesweit vorbildlich. Diese Leistungen zu erhalten und gleichzeitig ohne Qualitätsverlust in den übrigen Bereichen der Jugendhilfe Ausgaben zu reduzieren war die Aufgabe, der wir uns ohne Sentimentalitäten stellen mussten. Das ist mit dem vorliegenden Konzept gelungen. Für die FDP ist dabei entscheidend, dass die Jugendpflege in den Stadtteilen bei der Stadt verbleibt.

Wichtig ist uns auch: Alle unsere qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe werden ihre Erfahrungen und Leistungen in den Landkreis mitnehmen können, und das können sie ohne Verluste in finanzieller oder karrieremäßiger Hinsicht in Kauf nehmen zu müssen.
Wofür sollten wir nun die sprichwörtlich frei gewordene zweite Hand nutzen? Es liegt an der Verwaltung, die in den internen Arbeitsabläufen freiwerdenden Ressourcen sinnvoll einzusetzen.

Es liegt an uns im Rat, die hier verbleibenden Aufgaben der Jugendpflege im sozialen Nahraum zu erhalten und fortzuentwickeln.
Es liegt an uns allen, die Einsparungen nicht durch andere Begehrlichkeiten zu verfrühstücken.

Und zum Schluss: Auf uns warten große Herausforderungen in den Bereichen der Finanzierung von Kindergärten, Kindertagesstätten und der Ganztagsbetreuung in den Grundschulend. Dafür brauchen wir die freiwerdende zweite Hand dringend. Die FDP-Fraktion wird der Vorlage zustimmen.

Klaus Didschies (CDU):

Mir ist klar, dass ich bei vielen von Ihnen keine Überzeugungsarbeit mehr leisten kann, da sich fast die Hälfte des Rates zum Teil schon weit im Vorfeld, also vor Abschluss unserer Beratungen in den Ausschüssen und Informationsveranstaltungen in der hiesigen Presse erklärte, dem Beschlussvorschlag der Verwaltung nicht zustimmen zu wollen. Die CDU-Fraktion hingegen fühlt sich durch die Verwaltung umfassend informiert und hat sich nach gründlicher Beratung und Abwägung dazu entschieden, die Trägerschaft der Jugendhilfe an den Landkreis Celle abzugeben, so wie es bereits die meisten großen selbständigen Städte in Niedersachsen vorgemacht haben. Damit werden im Wesentlichen Pflichtaufgaben der Jugendhilfe an den Landkreis übertragen.

Unsere Kindergärten hingegen, die Jugendpflege, insbesondere unsere jugendsozialen Stadtteilprojekte und Maßnahmen, die Ferienpassaktion, Haus Nummer 7 in der CD Kaserne verbleiben in der Verantwortung der Stadt. Somit erhalten wir uns Gestaltungsmöglichkeiten, um auch in Zukunft flexibel, bedarfsgerecht und zielorientiert entscheiden zu können.

Die CDU-Fraktion sieht in der heutigen Entscheidung die einzige Möglichkeit, einen großen Schritt in Richtung erfolgreicher Haushaltskonsolidierung zu gehen. So stritten wir uns in der Vergangenheit selbst über kleinste Beträge, der große Wurf gelang uns allerdings nicht.

Zur Erinnerung: 2013 herrschte im Rat Einigkeit darüber, die KGSt mit der Haushaltskonsolidierung zu beauftragen.

Einig waren wir uns auch, als wir uns im Januar 2014 gegenüber der Kommunalaufsichtsbehörde im Rahmen einer Zielvereinbarung verpflichteten, „sämtliche sich ergebenen Konsolidierungsmöglichkeiten konsequent und vollständig zur Defizitminderung zu nutzen“ (Originaltext der Zielvereinbarung). Heute kommt es zum Schwur und ein großer Teil des Rates beabsichtigt seine Zustimmung zu verweigern, dabei haben wir doch gerade erst vor 48 Tagen in dieser Halle mit 36 Ja-Stimmen die Haushaltskonsolidierungsliste beschlossen, die unter Punkt 9 eine „Abgabe der Jugendhilfe an den Landkreis“ als Prüfauftrag enthielt.

Mit welchen Ergebnissen haben die Zweifler unter ihnen gerechnet und wovor haben sie Angst, heute konsequent zuzustimmen? Warum haben Sie im Dezember nichts gesagt? Die Anmerkung von Herrn Schulze in der letzten Ratssitzung war richtig, schon Martin Biermann und auch Herr Mende haben sich mit einer möglichen Abgabe der Jugendhilfe beschäftigt, kamen aber zu anderen Ergebnissen und Schlussfolgerungen. Konkrete Zahlen gab es nicht und auch keinen Nachweis möglicher Gespräche mit dem Landkreis. Befürchtete man womöglich einen Imageschaden für die Stadt? Merkwürdiger Weise wurde aber von beiden Oberbürgermeistern die Jugendhilfevereinbarung mit dem Landkreis stets kritisiert, es wurde gekündigt und auch nachgebessert, selbst die letzte Vereinbarung aus 2017 sieht maximal eine achtzigprozentige Erstattung der Personal- und Sachkosten durch den Landkreis vor und mehr läge nicht drin!

Oder um es mit den Worten unseres Stadtkämmerers Thomas Bertram auszudrücken: „Der Knochen ist abgenagt!“ Und genau hier liegt unser Einsparpotenzial, nämlich 20 % unserer Aufwendungen, die uns nicht erstattet werden können wir zukünftig durch die Abgabe der Jugendhilfe einsparen, in Zahlen sind das fast 2,9 Millionen – und das Jahr für Jahr.

Sie, sehr geehrter Herr Brammer haben heute in der Presse über sich verlauten lassen, dass Sie sich „für nachhaltiges Sparen einsetzen wollen“. Da frage ich mich natürlich, gibt es etwas Nachhaltigeres, als jedes Jahr ca. 2,9 Millionen einzusparen, und selbst wenn uns steigende Kosten des Landkreises über die Kreisumlage wieder einholen sollten, bleiben 1,5 Millionen übrig – und dazu kommen noch die Mieteinnahmen freiwerdender Gebäudeteile und u.a. Einsparungen in den Querschnittsämtern.

Aber lässt man einmal die Zahlen außen vor, so muss ich doch feststellen, dass noch nie so professionell und tiefgründig eine mögliche Abgabe unserer Jugendhilfe an den Landkreis vorbereitet wurde. Gemeinsam wurde das Vorhaben in einer extra dafür von der Stadt und Landkreis gebildeten Projektgruppe mit den zuständigen Dezernenten und betroffenen Fachdiensten auf Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit geprüft. Wir geben also unsere Jugendhilfe nicht an der Babyklappe ab.

Neben Finanzen ging es der Projektgruppe im Wesentlichen darum, die hervorragende Arbeit, die von der Stadt und den freien Trägern geleistet wird, aufrecht zu erhalten. Das Sozialraumbudget und Maßnahmen bleiben grundsätzlich erhalten, die Arbeit geht weiter. Alle Ergebnisse und Aufstellungen dieser Projektgruppe sind den Ratsmitgliedern hinlänglich bekannt. Damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadt beim Wechsel zum Landkreis keine Nachteile entstehen, wurde ein Personalüberleitungsvertrag vorbereitet, der dieses sicherstellen soll. Natürlich haben wir keinen direkten Einfluss auf zukünftige Personalstrukturen des Landkreises. Aber dafür hat die Stadt schließlich 21 städtische Kreistagsabgeordnete, von denen allein 10 Damen und Herren hier im Rat sitzen und verantwortungsvoll ein Auge darauf werfen werden. Geäußerte Ängste vor einer anderen Wahrnehmung der Jugendhilfe im Landkreis sind rein spekulativ, weil wir immer glauben, dass wir die Besten sind und alles perfekt machen.

Den Begriff einer „anderen Wahrnehmung“ böswilliger Weise als „schlechtere Leistung“ zu interpretieren, weise ich als Unverschämtheit zurück, da ich seit über 16 Jahren im Kreistag sitze und im Jugendhilfeausschuss vertreten bin, weiß ich nur positives aus dem Jugendamt der Kreisverwaltung zu berichten. Beide Jugendämter leisten hervorragende Arbeit.

Aber vielleicht ergibt sich aus dem Zusammenwirken des erfahrenen Fachpersonals von Stadt und Landkreis eine völlig andere, noch effizientere Arbeitsweise, die sich für alle Personensorgeberechtigten, für die betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes als ein Zugewinn darstellt. Ich würde mich darüber freuen! Gerne erinnere daran, dass nach der Abgabe der Vergabestelle an den Landkreis nunmehr ein verbesserter Service für alle Kreisgemeinden angeboten werden kann.
Stichwort Grundsatzentscheidung vor Feinarbeit: Natürlich treffen wir heute Abend nur eine Grundsatzentscheidung, da viele Details erst abgesprochen werden müssen und die Masse der Arbeit noch vor uns liegt. Geben sie beiden Verwaltungen Planungssicherheit, damit weder die Stadt noch der Landkreis womöglich für den Papierkorb arbeiten.

Es liegt der CDU-Fraktion fern, Probleme herbeizureden, wir sind uns aber sicher, dass bis zum Jahresende noch genügend Zeit ist, um ggf. auftretende Bedenken auszuräumen und auf Fragen eine Antwort bzw. eine Lösung zu finden.

Das Argument, dass durch die Abgabe der Jugendhilfe an den Landkreis für den Steuerzahler insgesamt höhere Kosten entstehen, überzeugt uns nicht, da wir als Rat der Stadt Celle in erster Linie unsere Haushaltssituation im Blick behalten müssen. Konsequent wäre es hingegen gewesen, wenn der linke Flügel hier im Rat über seine Vertreter im Kreistag einen Antrag auf eine einhundert prozentige Erstattung der Jugendhilfekosten gestellt hätte. Zeit hatten Sie schließlich genug.

Konstruktiv wäre es von Ihnen gewesen, wenn sie den heutigen Beschlussvorschlag mit möglichen Auflagen versehen und damit die Abgabe der Jugendhilfe von Ihren Vorstellungen und Forderungen abhängig gemacht hätten. Die Mehrheit im Rat hätte sich sicherlich auch über alternative Einsparpotentiale von Ihnen in dieser Größenordnung gefreut – es kam aber nichts!

Daher ist meine Schlussfolgerung, meine Damen und Herren, dass einige von Ihnen sind grundsätzlich gegen eine Abgabe der Jugendhilfe aussprechen werden, weil sie nicht wollen oder dürfen.

Mir ist auch nicht entgangen, dass andere es sogar von ihrem Bauchgefühl abhängig machen wollen.

So wünsche ich Letzteren bei der Abstimmung ein bisschen weniger Bauch und dafür mehr Rücken. Stimmen Sie heute für eine Abgabe der Jugendhilfe an den Landkreis, damit wir in Zukunft von einer Konkursverwaltung Abstand nehmen können. Lassen Sie uns wieder finanzielle Freiräume zurückgewinnen und damit Gestaltungsmöglichkeiten für viele neue und gute Ideen in unserer Stadt schaffen. Die CDU-Fraktion wird dem Verwaltungsvorschlag in jedem Fall zustimmen.

Christoph Engelen (SPD):

Ich beginne mit einem Zitat: „Eine Stadt wie Celle sollte sich seine sozialen Gestaltungsmöglichkeiten erhalten!“ Dies sagte der damalige Ratsherr und heutige Ratsvorsitzende Joachim Falkenhagen im Jahre 2002, als schon einmal über die Abgabe der Jugendhilfe an den Landkreis Celle diskutiert wurde. Zu lesen war das Ganze in der Ausgabe der CZ vom 09.03.02. Der damalige Redakteur brachte es in seinem Artikel auf den Punkt: (Zitat) „Bleibt die Stadt Herr über ihr soziales Gewissen oder gibt sie dieses an der Schwelle zur Trift ab?“

Heute muss sich der Rat erneut diese Frage stellen. Bleiben wir Herr über unser soziales Gewissen? Bleiben wir Herr über die sozialen Gestaltungsräume in unserer Stadt? Oder lassen wir uns zukünftig fremdbestimmen? Fremdbestimmen, ohne Einfluss mehr nehmen zu können, wie mit unseren Familien und deren Kindern umgegangen wird, wenn sie vor Problemen stehen und Hilfe benötigen. Nur, weil wir evtl. – vielleicht (?!) – Geld sparen können?

Nur, weil es der einfachste Weg ist? Das Problem verlagern? Soll doch der Landkreis Celle zukünftig die Rechnung voll bezahlen. Ist ja auch seine Aufgabe! Aber es kann nicht nur ums Geld gehen. Alles das was uns als Horrorszenarien vom Oberbürgermeister und Ersten Stadtrat an die Wand gemalt wird, kommt es wirklich so? Bekommt Celle wirklich einen Sparkommissar vor die „NASE“ gesetzt, wenn wir die Jugendhilfe nicht abgeben? Wird dieser dann wirklich sofort alles Streichen? Oder gibt es doch noch Gestaltungsspielräume? Warum darf eine Stadt mit finanziellen Schwierigkeiten nicht sein Jugendamt behalten? Wird hier evtl. alles – wie so oft – „schwarz gemalt“, um eigene Interessen zu verfolgen?

Ich bin Mitglied im Jugendhilfeausschuss und wurde von meiner Fraktion, aufgrund meines beruflichen Hintergrunds zum Ausschussvorsitzenden benannt. Und als Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses, der sich täglich mit dem Thema beschäftigt, stelle ich mir die Frage, warum müssen eigentlich zwei gut funktionierende Jugendhilfesysteme in Stadt und Landkreis Celle zusammengeführt werden? Und macht das überhaupt Sinn und geht das gut?

Und 2 Systeme heißt an dieser Stelle nicht, dass das eine System bessere oder schlechtere Arbeit leistet. Nein, 2 Systeme heißt, zwei unterschiedliche Herangehensweisen, welche aufgrund der Strukturen vor Ort notwendig sind. Kann Jugendhilfe in einem Flächenlandkreis, so wie es der Landkreis Celle ist, genauso organisiert werden wie in einer Stadt wie die unsere? Darf die finanzielle Ausstattung einer Stadt dies entscheiden? Ich meine Nein!

Auch wenn wir es nicht gerne hören, aber Celle hat dieselben Probleme wie die niedersächsischen Großstädte Braunschweig, Lüneburg, Osnabrück, Göttingen oder wie die Landeshauptstadt Hannover. Das dürfen wir nicht ausblenden! Das muss bei unserer Entscheidung heute mit bedacht werden!

Wer von Ihnen hat den Jugendhilfe Report 2016 der Stadt Celle gelesen? Ich zitiere jetzt aus diesem, speziell aus dem Abschnitt E: Integrierte Berichterstattung Niedersachen (IBN).

Die private pro Kopf Verschuldung in der Stadt Celle liegt bei 3349€ pro Person. Zum Vergleich: im Landesschnitt bei 1606 €. In Celle also fast doppelt so hoch. Hartz IV Rate: Stadt Celle 14 %, Landesschnitt 12 %. Schüler/-innen ohne Abschluss in der Stadt Celle 5,7 %. Zum Vergleich im Landesschnitt 5,2 %.

Ich will sie nicht lange mit Zahlen langweilen, eins wird aber Zusammenfassend deutlich: Celles sozialen Problemlagen von der Verbraucherinsolvenz, über Hartz IV bis hin zur Kriminalitätsrate liegen über dem Landesdurchschnitt. Hier muss unser soziales Gewissen draufschauen! Hier müssen wir uns unsere Gestaltungsräume wahren!

Wir haben mit unserem System der Jugendhilfe, dem Sozialraumbudget, über 17 Jahre gute Arbeit geleistet und zum Beispiel die Kriminalitätsrate in der Heese spürbar reduziert. Um genau zu sein, um fast die Hälfte! Und das alles mit einer Kostensteigerung von nur 11 % in den letzten 10 Jahren. Zum Vergleich: Die normale Jugendhilfe hat Landesweit eine Kostensteigerung von 17 %.

Das in der Stadt Celle eingeführte Sozialraumbudget in der Jugendhilfe ist die Zukunft. Die Stadt Celle war damals eine der ersten Kommunen, die dieses einführte. Heute fahren unsere Praktiker aus der städtischen Jugendhilfe mit Stolz in andere Kommunen, die ihre Jugendhilfe andern wollen und berichten über das erfolgreiche Model.

Und nicht nur in andere Kommunen, sondern auch nach Berlin ins Ministerium, wo aktuell die Novellierung des SGB VIII (die gesetzliche Grundlage der Jugendhilfe) besprochen und geplant wird. Und warum fahren sie dorthin? Weil das Sozialraumbudget fester gesetztes Bestandteil werden soll. Weil man auch in Berlin im Ministerium verstanden hat, dass nicht nur der Einzelfall im Hilfsangebot betrachtet werden darf, sondern ganzheitlich die ganze Familie und/oder Peergroup oder sogar der ganze Stadtteil. Und das aus einer Hand! So wie es in Celle schon lange erfolgreich läuft.

Aber das schein ja hier im Rathaus niemanden zu interessieren. Beim neuen Oberbürgermeister, zählen nur die Zahlen und sparen, sparen, sparen. Aber Celle darf sich auch nicht kaputtsparen!

Und deshalb frage ich Sie Herr Dr. Nigge, was ist mit ihrem Wahlslogan „Celle kann mehr“? Mit der möglichen Abgabe der Jugendhilfe gehen wir einen großen Schritt zurück! Das ist Ihnen hoffentlich klar!

Herr Dr. Nigge, was ist mit Celle tut was für Familien und wir sind Familienfreundlich? Meinen Sie nur Familien die sich Einfamilienhäuser kaufen können, oder Ponys? Was ist mit den Familien die schon in Celle leben? In der Heese, in der Blumlage, in Neuenhäusen oder in Vorwerk? Was ist mit den Familien, die es eben nicht so leicht haben? Den Eltern, die sich beim Schlafen gehen nicht darüber Gedanken machen, welche Farbe das Pony haben könnte, sondern die abends ins Bett gehen und nicht wissen was am nächsten Morgen auf dem Frühstückstisch steht, oder ob es diese Woche das 6. Mal Nudeln mit Ketchup zum Mittag gibt, weil das Geld diesen Monat wieder einmal nicht reicht.

Das ist auch Realität in unserer Stadt. Und wenn man der Statistik glaubt, dann kommt sowas in unserer Heimatstadt Celle häufiger vor, als im Landesschnitt. Dass muss sich ändern. Solche Verhältnisse dürfen nicht mehr werden. Und deshalb müssen es doch auch unsere Herausforderungen bleiben und nicht die vom Landkreis Celle werden. Werte Kollegen der Mehrheitsgruppe, Herr Oberbürgermeister stellen sie sich diesen Herausforderungen und hören sie auf sich hinter Zahlenwerk zu verstecken, und ein Gespenst an die Wand zu malen Namens Sparkommissar, von dem keiner hier im Raum weiß, ob es wirklich so kommt.

Im letzten Jugendhilfeausschuss konnten übrigens die im Vorfeld herbeigelobten Synergieeffekte der Verwaltung nicht überzeugend dargestellt werden. Im Gegenteil! Eigentlich ist es eine große Mogelpackung. Frei nach dem Motto rechte Tasche – linke Tasche. Zulasten der Bürgerinnen und Bürger. Und hier möchte ich speziell die Kolleginnen und Kollegen im Rat ansprechen, die wie ich ein Doppelmandat haben und im Stadtrat und im Kreistag sitzen.

Wenn sie heute für die Abgabe der Jugendhilfe stimmen, spart die Stadt Celle vielleicht (wieviel genau steht in den Sternen), aber der Kreis muss richtig in die Tasche greifen, alleine schon um die Infrastruktur aufzubauen um fast 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu übernehmen.
An dieser Stelle wird doch schon deutlich, dass es eine Milchmädchenrechnung zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger ist und ein abschieben von Verantwortung für die Zukunft unserer Stadt. Vergessen sie das nicht. Und vergessen sie auch nicht, ob wir im Kreistag dann demnächst wieder über eine Erhöhung der Kreisumlage diskutieren müssen, um die Defizite des Kreises durch unsere Entscheidung heute wieder auszugleichen.

Die langfristigen Kosten wurden meines Wissens übrigens noch gar nicht betrachtet! Deshalb meine Frage in die andere Richtung: Lohnt es sich bekanntlich nicht, in die Jugend zu investieren? Wer sagt uns, dass der Schritt zur Abgabe der Jugendhilfe nicht in Zukunft höhere Kosten für unsere Stadt verursacht? Wer gibt uns die Garantie, dass das alles so super gut funktioniert, was da geplant ist?

Übrigens ist das alles noch nicht mal bis zu Ende gedacht. Die richtigen Planungen sollen ja erst nach der heutigen Entscheidung beginnen. Bloß, wenn es nicht funktioniert was ist dann? Dann haben wir keinen Einfluss mehr!

Wäre es deshalb nicht einfacher und sinnvoller über das Lüneburger-Model nachzudenken? Der Landkreis Lüneburg erstattet der Stadt Lüneburg nämlich 100% der anfallenden Kosten für die Jugendhilfe. Da gibt es die sogenannte Interessenquote nämlich gar nicht. Und das ist auch gut so! Aber diese Diskussion soll ja hier erst gar nicht gestartet werden. Ich sage ja, man will sich vor wirklicher sozialer Verantwortung drücken.

Und um diese Verantwortung los zu werden, werden dann sogar Personen zu Fachleuten ernannt und bekommen als solche ein Forum, in dem sie Geschichten erzählen dürfen, die mit Fachlichkeit nichts zu tun haben.

Vielleicht auch deshalb, hat der Jugendhilfeausschuss in seiner letzten Sitzung mehrheitlich die Abgabe der Jugendhilfe an den Landkreis abgelehnt. Und meine Damen und Herren, dieser Ausschuss ist der Ausschuss, welcher nicht nur einen besonderen Rechtsstatus hat, sondern in diesem Ausschuss sitzen neben uns Politiker Fachleute mit und ohne Stimmrecht, welche von diesem Rat (also uns) dazu beauftragt wurden, uns in fachlichen Fragen zu unterstützen und zu beraten.

Dieser Ausschuss hat eindeutig NEIN zur Abgabe gesagt. Und dass, wie sie meinen Worten entnehmen durften, aus gutem Grund!
Deshalb meine Bitte: folgen sie unseren Beraterinnen und Beratern im Jugendhilfeausschuss. Stimmen auch sie gegen eine Abgabe der Jugendhilfe und übernehmen Sie wirkliche soziale Verantwortung für unsere Stadt und ihre Probleme. Erhalten Sie unsere sozialen Gestaltungsspielräume und geben Sie ihr soziales Gewissen nicht an der Trifft ab. Die SPD-Fraktion wird gegen die Abgabe der Jugendhilfe stimmen!

Behiye Uca (BSG/Die Linke):

Mein Kollege Oliver Müller hat schon in der Haushaltsdebatte im Dezember darauf hingewiesen, dass es sich bei der Übertragung der Jugendhilfe an den Landkreis in finanzieller Hinsicht um einen Taschenspielertrick handelt: Linke Tasche, rechte Tasche. Für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wird das Ganze nicht kostengünstiger, sondern absehbar sogar teurer.

Ja. Der Haushalt der Stadt Celle wird entlastet. Aber wir müssen uns doch fragen: Wieso? Der einzige Grund ist, dass der Landkreis für eine Leistung, die zu 100 Prozent ausgeführt wird, laut vertraglicher Vereinbarung nur 80 Prozent zahlt. Solange es der Stadt finanziell noch einigermaßen gut ging, war das nur ein schlechter Vertrag. Heute ist es ein schlechter Witz.

Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keinerlei Kritik an der Arbeit der Jugendhilfe. Die Ausnahme war der Umgang mit unbegleiteten jugendlichen Geflüchteten im Lager Schauen. Aber ich habe meine Zweifel, ob der Landkreis das besser gemacht hätte. Also: Die Arbeit hat eine gute Qualität. Kein Grund, etwas zu ändern. Die möglichen Einspareffekte, von denen die Rede war, haben sich weitgehend in Luft aufgelöst. Ja, im Gegenteil: Die Frage der Unterbringung der Beschäftigten wird für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu Mehrbelastungen führen.
Es liegt doch auf der Hand, wie wir das Dilemma lösen können, in dem die Stadt steckt: Der Vertrag muss einfach erneut verhandelt werden. Und selbstverständlich hat der Landkreis 100 Prozent zu erstatten. Alles andere ist doch verrückt. Und angesichts eines CDU-Landrats und einer CDU-Mehrheit im Kreistag sollte das doch eigentlich auch kein Problem sein. Nur: Wenn ich das richtig sehe, ist das bisher nicht einmal versucht worden.

Der Personalrat der Stadt Celle hat in einer Stellungnahme an die Ratsmitglieder auf folgendes hingewiesen, ich zitiere:
„Der Jugendhilfeausschuss hat sich dank seiner beratenden Mitglieder, bei denen man Fach- und Dachverstand voraussetzen darf, gegen eine Übertragung der Jugendhilfe ausgesprochen. Hier hat der Ausschuss nicht nur in seiner Besetzung, sondern auch in seiner rechtlichen Stellung (nämlich Teil des Jugendamtes zu sein) als ein besonderer erwiesen. Folgende Punkte waren im Sitzungsverlauf aus Sicht des Personalrates entscheidend. Die Qualitätsgarantie des Landkreises für die bestehende Jugendhilfe bleibt weiterhin ein Lippenbekenntnis […]. Die angestrebten Synergieeffekte der Organisationsübertragung wurden inzwischen explizit als gegen Null tendierend bestimmt. […] Wir bedauern, dass andere Finanzierungsmöglichkeiten, wie z.B. das „Lüneburger Modell“ (100 % Finanzierung durch den dortigen Landkreis) offensichtlich nicht geprüft bzw. verhandelt wurden.“ [Zitat Ende]

Stellt sich die Frage, warum das Ganze trotzdem über die Bühne gehen soll?

An jedem anderen Punkt wird immer darauf verwiesen, dass die Stadt „Oberzentrum“ ist. Bei der Jugend aber spielen wir formal dann künftig in einer Liga mit Hambühren.

Wir haben den Eindruck, dass die Verwaltungsspitze und die CDU schlicht und einfach kein Interesse daran haben, Jugendhilfe in dieser Stadt selbst zu gestalten. Wie in einem Konzern will man eine Sparte ausgliedern oder abstoßen, weil sie keinen Gewinn bringt.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Stadt ist kein Konzern. Wir sind dem Gemeinwohl verpflichtet.
Deshalb werden wir dem SPD-Antrag zustimmen, die Jugendhilfe bei der Stadt Celle zu belassen und sie nicht, auch nicht teilweise, auf den Landkreis zu übertragen.

Eine letzte Anmerkung: Es sieht so aus, als wenn sich die CDU erneut darauf verlässt, eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD-Fraktion zu bekommen. Wir finden das äußerst problematisch. Fangen Sie endlich an Politik zu machen. Versuchen Sie bei wichtigen Fragen endlich Mehrheiten im Rat herzustellen – ohne die Stimmen der AfD.

Dirk Gerlach (WG/Die Partei):

Zum Thema JUHI hörten wir in den letzten Wochen, fast ausschließlich finanzielle Aspekte.
Den wahren Wert, um den es dabei geht, verlieren wir dabei jedoch völlig aus den Augen.
So fiel bei unserer letzten Sitzung das Zitat „Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts“. Dieses Mantra des Kapitalismus, hat jedoch mit der Lebenswirklichkeit wenig gemein. Es gibt tausende Dinge, die ohne Geld nichts von ihrem wahren Wert verlieren. Ein Beispiel hierfür ist die Jugendhilfe!

Die Stellungnahme von Herrn Wiswe und Herrn Nigge in der CZ vom 19.01 brachte es auf den Punkt: auch ihnen geht es nicht ums Geld und den ohne Zweifel maroden Haushalt – es geht um die Instrumentalisierung der finanziellen Schieflage der Stadt, um sich einer städtischen Institution zu entledigen, welche nun mal aufgrund ihrer Eigenschaft nie eine gewinnbringende sein wird.

Seitens unserer Fraktion liegen nachweisliche Berechnungen vor, dass eine Verlagerung der JUHI an den LK, letztlich durch die zu erwartende Erhöhung der Kreisumlage, ein Nullsummenspiel wird und wir die JUHI an den LK, ohne reelle Einsparungen verscherbeln. Wir stellten weiterhin fest, dass die vom LK eigentlich an die Stadt zu entrichtenden 80%-Zahlungen nur zu 66% überhaupt geflossen waren.

Wäre man seitens der Stadt an der JUHI wirklich interessiert, hätte man diese Überlegungen aufgegriffen. Stattdessen aber entnahmen wir die Absage über die Presse.

Auch bei allem Respekt gegenüber Herrn Bertram und den Mitarbeiterinnen seiner Behörde, mag ich seinem angekündigten Horrorszenario nicht folgen. Sollte die Stadt aus ihrer finanziellen Notlage heraus tatsächlich in die Zwangsverwaltung geraten, so wird uns eine Trennung von der JUHI, davor dann auch nicht mehr bewahren. Selbst wenn daraufhin sämtl. Jugendhilfeaktivitäten kassiert würden – wird es nicht allein dadurch besser, dass wir sie selbst abschaffen. Es fehlt allein an dem politischen Willen, die JUHI bei der Stadt zu belassen, denn die finanziellen Möglichkeiten wären gegeben.

Stellen wir uns einmal die Frage, wie diese Entscheidung beim Bürger ankommt! Dort kommt an, dass der Haushalt wieder einmal nur auf den Schultern derer saniert wird, welche die schwächste Lobby haben. Die sozial Schwachen, die Bedürftigen, diejenigen, die eigentlich unserer Hilfe bedürfen, die wir ihnen aber als Stadt verweigern. Es sind genau diese Entscheidungen, mit denen Wahlverdrossenheit generiert wird und die Bürger, das Vertrauen in die Politik und die Verwaltung verlieren. Dinge, die sie mit Geld allein nicht bewerten können.

Wo dagegen aber bleibt die berechtigte Kritik gegenüber jenen, denen wir unter anderem diesen finanziellen Schlamassel mit zu verdanken haben? Wer wendet sich denn mal mit erhobener Stimme gegen jene Konzerne, die sich hier um ihre soziale Verantwortung drücken, in dem sie ihre Gewinne im Ausland versteuern, bzw. durch üble Finanztricks ihre Zahlen künstlich herunterrechnen? DAS wäre mal eine Botschaft, die den Menschen da draußen vermittelt, dass man sich sehr wohl auch um ihre Interessen kümmert und nicht nur um die, die ohnehin schon im Öl…bzw. im Geld schwimmen!

In den stattgefundenen Infoveranstaltungen war häufig die Rede von den Vorteilen für die Finanzen und die Verwaltung…von Vorteilen für diejenigen, die davon Betroffen sind, hörte ich wenig. Außer dass wenn wir die JUHI nicht abgeben, alles ganz, ganz schlimm wird…doch ist es umgekehrt besser?

Schon für das nächste Haushaltsjahr tauchen bereits Kürzungen bei der Jugendarbeit auf und als erstes Beispiel, was denn da noch so kommt, ist bereits ab Morgen das Stadtteilmanagement in Vorwerk nur noch mit einer halben Stelle besetzt…und vom PACE-Projekt hat man sich seitens des LK bereits ganz verabschiedet. Einer Mitteilungsvorlage entnimmt man weiterhin: „…Die Stadt behält sich vor, alle verbleibenden Aufgaben im Rahmen des HSK kritisch zu überprüfen, sodass auch in diesem Bereich weitere Einsparungen möglich sind…“ – hier wird deutlich, dass die Abgabe an den LK nur die Spitze des Eisbergs ist und weitere Kürzungen in diesem Bereich im Raume stehen. Was sagt uns das? Das sagt uns, dass wir diese Stadt hoffnungslos ihrer eigenen Überalterung überlassen.

Auch die Ausführungen von Herrn Dr. Kirschstein überzeugten mich nicht. Bei allem Verständnis für die Situation im AKH, wären alle seine vorgetragenen Gründe ausnahmslos auf dem Verwaltungswege zu beheben, so man es denn nur wollte. Keinesfalls dienten sie jedoch, eine so einschneidende Entscheidung, wie diese hier heute zur Debatte steht, zu rechtfertigen.

Eben diese starre Sicht, alles nur auf verwaltungstechnische und finanzielle Aspekte zu reduzieren führt am Ende zu immer weniger Bürgernähe und schafft eine tiefe Kluft zwischen Politik, Verwaltung und den Menschen, um die es uns eigentlich hier gehen sollte.
Denn wir sitzen hier nicht um unserer selbst willen. Wohin solche Sichtweisen führen, konnten wir ja zuletzt rund um die missglückte Onlineterminvergabe im Rathaus beobachten.

Noch einmal, wir begehen den Fehler, alles nur Erdenkliche mit Geld zu bemessen und verlieren dabei die viel wichtigeren Dinge aus dem Auge. Für die Stadt ist die Jugendhilfe ein elementarer Bestandteil ihrer soziokulturellen Identität. Sie in die Hände des Landkreises zu übergeben, der damit über das Schicksal der Jugend in dieser Stadt, und damit über die Köpfe der Betroffenen hinweg entscheidet, ist ein großer Irrtum. Auch ob die in Aussicht gestellte Qualitätsbeibehaltung gewährleistet bleibt, ist derzeit nichts weiter als ein hohles Versprechen, welches im Nachhinein nie jemand ernsthaft hinterfragen wird. Dass wir damit als Stadt sämtliche Entscheidungskompetenz bei der JUHI verlieren, sollte hier jedem klar sein!

In der Presse haben wir unsere Positionen zu dem Thema bereits deutlich gemacht, sodass ich auf die Einzelheiten darin nicht noch einmal näher eingehen möchte. Außer vielleicht, dass die Debatte darüber, nur unseren Anträgen zu verdanken ist. Denn ansonsten wäre dieses Thema bereits im Schweinsgalopp durch die letzte Ratssitzung gelaufen.

Weiterhin stelle ich fest, dass bisher nur wenige den Weg zum VSG oder anderen Einrichtungen der Jugendarbeit, gefunden haben, um sich dort einmal aus erster Hand berichten zu lassen, was für Folgen es denn de facto hat, wenn wir die JUHI an den LK zurück geben. Da stelle ich mir schon die Frage, inwieweit die entsprechenden Fraktionsvertreterinnen überhaupt ein Interesse an einer funktionierenden Jugendarbeit hier in der Stadt haben. Oder ob sie sich hier einfach nur in völliger Unkenntnis der Sachlage, einer Mehrheitsentscheidung ihrer Fraktion anschließen.
Mithin verabschiedet sich die Stadt hier von einem ihrer Leuchtturmprojekte, welches nicht nur in den Vergleichsringen bestens Abschnitt, sondern auch von anderen Städten adaptiert wurde.

Kaum hat diese Stadt etwas Vorzeigbares erschaffen, wirft sie es auch sofort wieder über Bord.

Die JUHI kann zwar ohne Geld nicht arbeiten, aber ihr wahrer Wert lässt sich daran nicht bemessen. Noch viel weniger kann und darf sie unter rein marktwirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden. JUHI wird selbst innerhalb einer vernünftigen Stadtplanung, immer einen defizitären Posten bekleiden. Mit Bedürftigen lassen sich nun mal keine Geschäfte machen…es sei denn in der Privatwirtschaft – und am Beispiel des privatisierten Pflegemarktes und der Krankenhäuser, zeigt uns dies ja nur allzu deutlich, wozu diese unsägliche Entwicklung führt. Celle ist jedoch kein Privatunternehmen und darf auch nicht wie ein solches geführt werden.

Hören wir auf, die Dinge immer nur aus rein monetärer Sicht zu betrachten. Denn um Profit geht es in einer Solidargemeinschaft nun mal nicht. Es wäre ein ebenso unsinniges (und deswegen auch nicht mögliches) Vorgehen, würde man sich von der Feuerwehr aus finanziellen Gründen trennen.

Die daraus resultierenden Folgen fallen einem jedoch weitaus eher auf, als dies im Falle der Jugendhilfe geschieht…spätestens dann, wenn die eigene Hütte abfackelt und niemand zum Löschen kommt. Übertragen auf die Jugendhilfe sagt dieser Vergleich aus: Wenn wir diesen Antrag hier und heute nicht ablehnen, wird am Ende die Polizei und die Justiz das übernehmen, was wir ihnen in Ermangelung unseres Engagements für die Jugend, übrig lassen werden.

Die namentliche Abstimmung ist daher ein richtiger Schritt! Denn nur so übernimmt man Verantwortung und nur so kann man den Menschen offen und ehrlich gegenübertreten.

Sich bei der heutigen Wahl seiner Stimme zu enthalten, sollte insbesondere für die Zweifler eine mögliche Option sein. Gerade in lauten Zeiten wie diesen, ist Nichtssagen manchmal auch wichtig, was nicht heißt, dass man zu allem Schweigen muss. Wenn es allerdings nur noch die Aufgabe der Politik ist, ihre strukturellen Entscheidungen, an marktwirtschaftliche Interessen anzupassen, ist sie als solche obsolet. Denn die Entscheidung für oder gegen die JUHI, wird vor allen Dingen eine emotionale- wenn nicht sogar eine Gewissensentscheidung sein. Wir als Ratsmitgliederinnen sollten daher neben politischen, auch unsere menschlichen Beweggründe hierbei einfließen lassen. Denn nur so vertreten wir auch die Interessen derer, die uns gewählt haben.

Verschieben wir also für einen Moment unser Wertesystem und hören auf, immer nur in Geld, Geld und nochmal Geld zu denken…denken wir in Kategorien wie „Bürgerzufriedenheit“, „Glück“ oder gar „Lebensqualität“ – schnell wird dabei klar, dass Geld nun mal nicht alles ist…aber ohne Geld gibt es immer noch Werte, die mit Geld nun einmal nicht zu bemessen sind.

Anatoli Trenkenschu (AfD):

Eines der Hauptargumente, die ich von den Gegnern der Abgabe der Jugendhilfe an den Landkreis in allen Diskussionen bis jetzt gehört habe, war die Befürchtung, dass wir als Stadt Celle unsere Gestaltungsmöglichkeiten verlieren werden. Liebe Sozialdemokraten! Glauben Sie wirklich, dass wir diese Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich noch besitzen und nicht schon längst verloren haben? Bei einem Schuldenstand von fast 300,0 Millionen Euro!

Die Kommunalaufsicht hat die Stadt Celle schon länger auf dem Zettel, seit Jahren ist ein Sparkurs angesagt. Celle wurde gezwungen, Jahr für Jahr ein Haushaltssicherheitskonzept vorzulegen. Im Mittelpunkt des HSK standen auch schon immer die Kürzungen bei den freiwilligen sozialen Leistungen oder die Erhöhung der Steuern und Gebühren für unsere Bürgerinnen und Bürger. Die HSKs, liebe Sozialdemokraten, haben Sie damals ohne zu zögern mitgetragen!

So haben Sie zum Beispiel zugelassen, dass die Kindergartengebühren in den letzten Jahren um rund 60 Prozent gestiegen sind! Parallel wurden die Steuern und Gebühren in unserer Stadt in der jüngsten Vergangenheit massiv angehoben! Diese Maßnahmen haben alle Schichten der Bevölkerung getroffen. Vor allem hart traf es die Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen, den sogenannten Niedriglohnsektor, Familien mit kleinen Kindern und die Rentner. Diese Menschen müssen die Zeche für die verfehlte Politik zahlen. Ist das aus Ihrer Sicht sozial? Nein, meine Damen und Herren, Ihre Haltung hat mit sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun, das Ganze wird von Ihnen leider nur aus ideologischen Gründen hochgespielt.

Die Stadt Celle hat mit der Abgabe der Jugendhilfe die Möglichkeit sehr viel Geld – fast 3,0 Mio. Euro pro Jahr – für den städtischen Haushalt einzusparen. Und das alles, ohne Qualitätsverlust, weil sich für die Betroffenen nichts ändern wird. Alles andere wäre auch absolut unlogisch: es bleiben die gleichen Mitarbeiter, die gleichen Projekte und die gleichen Aufgaben und, wie auch die Stadtverwaltung uns allen versichert hat, mit vollständiger Jobgarantie bei gleichen Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter. Und Sie wollen diese Einsparungen wirklich blockieren?
Aus der Sicht der AfD-Fraktion gibt uns dieses Vorhaben endlich die Möglichkeit einen riesigen Schritt in Richtung eines ausgeglichenen Haushaltes zu machen. Ein ausgeglichener Haushalt bedeutet wiederum finanzielle Unabhängigkeit und versetzt uns in die Lage, auch bei den freiwilligen sozialen Leistungen, aber natürlich nicht nur dort, endlich wieder mehr zu tun. Wir wissen doch alle mit welchem Investitionsstau bei den Schulen, Kindergärten und Straßensanierungen wir zu kämpfen haben. Nur mit starken Finanzen sind wir wirklich in der Lage, zu gestalten, sehr geehrte Damen und Herren, links von mir!

In den Diskussionen wurde auch argumentiert, dass für den Steuerzahler, also gesamtvolkswirtschaftlich gesehen, die gesamte Einsparung Null Euro sein wird oder vielleicht sogar noch teurer. Hier möchte ich widersprechen. Erstes: wir sind von den Bürgerinnen und Bürger der Stadt Celle gewählt worden und in erster Linie natürlich verpflichtet, die Interessen unserer Stadt zu vertreten.
Zweitens: Als Controller kann ich Ihnen versichern, dass bei einer Zusammenlegung von solchen größeren Einheiten, mittel- bis langfristig immer mit Synergieeffekten zu rechnen ist. So dass hier auch gesamtbetrachtet für den Steuerzahler mit einer Entlastung kalkuliert werden kann.

Drittens: Die echten Probleme der Steuerverschwendung liegen zunehmend an der Bürokratisierung unseres Staatswesens. Immer neue Gesetze, Verordnungen und Vorschriften lähmen unser bis vor kurzem noch gut funktionierendes System. An dieser Stelle möchte ich gerne ein paar Zahlen nennen und auf das Problem der ausufernden Ausgaben in dem Bereich der Jugendhilfe aus der Perspektive von ganz Niedersachsen aufmerksam machen.

Im Jahr 1991 lagen die gesamten kommunalen Aufwendungen (netto) in der Kinder- und Jugendhilfe/ SGB VIII – außerhalb von Einrichtungen – bei rund 150,0 Millionen Euro, im Jahr 2015 lagen diese Aufwendungen bereits bei rund 1,3 Milliarden Euro. Das entspricht einem unglaublichen Anstieg von mehr als 860 Prozent! Mit einer weiteren ununterbrochen steigenden Tendenz.

Aus Sicht der AfD-Fraktion müssen wir hier dringend umdenken, unsere Hilfe für die bedürftigen Menschen muss effektiver und zielorientierter werden und wir brauchen keine sozialistische Bevormundung der Gesamtbevölkerung. Das ganze System hat doch in den 80er und 90er Jahren gut funktioniert. Mit weiterer Bürokratisierung des Systems und der permanenten Erhöhung der Ausgaben wird der gewünschte hundertprozentige Jugendschutz nie erreicht, das zeigen leider immer wieder neu bekannte Fälle – besonders stark hat mich der letzte Fall aus Freiburg betroffen gemacht. Wir brauchen auch hier neue Wege und keine utopischen Vorstellungen. Die AfD – Fraktion wird dem Vorschlag der Verwaltung zustimmen und die Umstrukturierungsbemühungen des Oberbürgermeisters unterstützen.

Juliane Schrader (Bündnis 90 / Die Grünen):

Nicht nur auf der Sitzung des Jugendhilfeausschusses wurde uns Grünen und der Gruppe vorgeworfen, wir hätten ja schon frühzeitig die Abgabe der Jugendhilfe an den Landkreis abgelehnt. Das als Vorwurf zu formulieren, ist schon ein starkes Stück. Es gibt tatsächlich Positionen, von Herrn Bischoff immer so gerne als „Ideologie“ verschrien, die sind für uns Grüne unverrückbar. Trotzdem wollten wir nähere Informationen als das dünne Paper der ersten Beschlussvorlage. Wir haben beide Ratsinfoveranstaltungen besucht, haben mit Institutionen und Mitarbeitenden gesprochen, mit anderen Städten, uns so umfassend wie möglich informiert.

Und bleiben dabei, dass wir die Jugendhilfe bei der Stadt belassen wollen.

Von dem Ratsgremium dieser Stadt ist schon eine Menge Unheil angerichtet worden, z. B. die Eindampfung der Energieversorgung durch die Stadtwerke. Jetzt ist es ein richtiger Kraftakt, diese Sparte wieder auf gesunde Beine zu stellen, und es hat ziemlich lange gedauert mit erheblichem Widerstand der Politik. Nun freuen sich alle über die Gewinnausschüttung in Millionenhöhe.

Ein weiteres Beispiel: die Übertragung des ÖPNV an den Landkreis. Hier heißt es jetzt nur noch „wünsch dir was“, oder „bezahlt dafür“. Da können sich gerne ehemalige oder aktuelle Ortsbürgermeister hinstellen, und eine bessere Taktung oder eine weitere Haltestelle pressewirksam wünschen. Zum Teil, meine Herren, haben Sie sogar persönlich die Aufgabe des ÖPNV an den Landkreis vergeben.

Es ist ja schon erschreckend, wie wenig einige von Ihnen, die auch ein Mandat im Landkreis haben, dort im Sinne der Stadt Celle agieren. Fehler, die Sie heute wiederholen. Wir geben eine hochgelobte Aufgabe ab, die wir mit Sicherheit nicht wiederholen können. Wir haben nie gesagt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landkreis eine schlechtere Arbeit leisten. Sie arbeiten anders, mit einem anderen Ansatz. Wir halten die präventive Arbeit der Stadt Celle für ausgezeichnet. Die Versprechen, die uns von der Leiterin des Jugendamtes des Landkreises gegeben wurden, dass alles so bleibt, wie es ist, sind nicht schriftlich besiegelt.

Und wer jemals eine Übernahme einer Firma durch eine andere erlebt hat, weiß, welche Ideen und Ansätze maßgebend sind. Wir geben das Heft des Handelns aus der Hand. Der Spareffekt ist minimal, Synergieeffekte komplett verpufft, nur Herr Dr. Kirschstein und seine Mitarbeitenden haben eine Telefonnummer weniger an der Pinnwand. Wenn wir als Politik neue Ideen und Wünsche haben, was die Jugendhilfe betrifft, sind wir wieder nur die mit „wünsch dir was“, oder „bezahlt dafür“.

Herr Didschies hat während der Sitzung des Jugendhilfeausschusses eine Jammertirade angestimmt, wie sehr ihm das alles leidtun würde, er hätte die Jugendhilfe ja quasi mit aufgebaut. Und rechnet so vor sich hin. Dabei hat er doch gar nicht so mit Zahlen. Behauptete er doch immer wieder, 37 Ratsmitglieder hätten vor Weihnachten dem Haushaltssicherungskonzept zugestimmt, also auch die Abgabe der Jugendhilfe an den Landkreis. Herr Didschies, es waren nur 27 von 41, nicht 37. Unterschied: 90 % oder 66 %. Egal, nicht wahr?

Aber, versteifen wir uns nicht so auf Zahlen. Auf einer Weihnachtsfeier sagte ein CDU-Ratsherr, angesprochen auf die widersprüchlichen Zahlen, die uns vorgelegt wurden, dass die Abgabe der Jugendhilfe keine „Frage des Geldes wäre, sondern eine Glaubensfrage“ sei. So ist das also. Sehrt geehrte Damen und Herren, da falle ich vom Glauben ab!

Inga Marks (SPD):

Ja, Celle muss sparen. Das denke ich, ist bei jedem angekommen. Wir sparen aber nicht erst seit einem Jahr, so wie es gern verkündet wird,sondern schon in den vergangenen Jahren wurden uns die Daumenschrauben ganz schön fest angezogen. Wir als SPD aber auch als gesamter Rat haben diesen Auftrag der Kommunalaufsicht sehr ernst genommen und haben Einsparpotentiale gesucht und gefunden, die hie und da auch weh taten.

So wurde auch in der Vergangenheit über die Abgabe der Jugendhilfe nachgedacht. Doch, und da müssten sich die Ratsmitglieder, die länger im Rat sind als ich, noch gut daran erinnern können, dass davon alle Politikerinnen und Politiker einvernehmlich Abstand genommen haben. Die Verantwortung für die Jugend wollten die Ratsmitglieder in der Vergangenheit selbst übernehmen. Und das hat Hannover auch immer geduldet. Das ist auch klug so.

Seit einem Jahr ticken aber die Uhren anders im Rathaus und es soll sich dieser Verantwortung nun entledigt werden. Ich sehe meinen Auftrag als Kommunalpolitikerin aber darin, Celles Zukunft im Sinne der Stadtgesellschaft zu gestalten und die Zukunft sind nun einmal unsere
Jugendlichen und Kinder.

Die Experten unsere Sozialarbeiter vor Ort warnen davor Jugendhilfe und Jugendarbeit voneinander zu trennen. Das sind zwei in sich verzahnte Felder, die einander bedingen. Und der uns vorgegaukelte Spareffekt ist nur von kurzer Dauer, langfristig betrachtet, und da können wir von den Erfahrungen anderer Kommunen lernen, wird es viel viel teurer, Beispiel Hildesheim. Allen muss klar sein, wenn das Kind erst im Graben liegt, sind Einzelfallhilfen ein weitaus teureres Unterfangen.

Celle spart sich kaputt, reißt gestrauchelten Jugendlichen oder Kindern aus prekären Verhältnissen den Boden unter den Füßen weg, die Möglichkeiten eines geschützten Raumes gibt’s dann nicht mehr. Ich spreche mal direkt eine Ortsbürgermeisterin an, die in ihrem Ortsteil besonders von den niederschwelligen Angeboten der Jugendhilfe profitiert. Iris, es ist nicht mit einer halben Sozialarbeiterstelle getan, die
man deinem Ortsteil anbietet um dich milde zu stimmen. Diese wird nämlich an anderer Stelle weggenommen und reißt dort ein Loch. Wenn
du heute mit der Verwaltung stimmst, stimmst du gegen die Menschen vor allen gegen die Kinder in deinem Ortsteil Vorwerk, die diese
Angebote dringend brauchen und nutzen.
und
Die Ironie an der ganzen Geschichte ist, dass Konservative diese niederschwellige Angebotslandschaft in Celle installiert haben und
Konservative schaffen diese wieder ab. Der Rat der Stadt Celle mit seiner seit Jahrzehnten konservativen Mehrheit möchte heute etwas beerdigen, was bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Nicht um sonst wurden Akteure der Freien Träger nach Berlin eingeladen, um dort zu referieren, was hier in Celle so gut läuft, dass wir eben keinen Anstieg der Jugendkriminalität verzeichnen müssen. Vertreterinnen und Vertreter aus den anderen Bundesländern wollen von uns lernen. Das ist doch super.

Wenn ich mir die Vorlage genau anschaue, wird mir klar welche Strategie verfolgt wird. Unter römisch 2 steht in den letzten beiden Sätzen, „Der Rat hat hiermit die strategische Entwicklung der Kommune zu steuern. Die Abgabe der Aufgabe der Jugendhilfeträgerschaft ist eine wichtige strategische Ausrichtung.“

Weiter unter römisch 6; „Den Gestaltungsspielraum behält die Stadt Celle, besonders in den niederschwelligen Angeboten“. Das ist ein farce,
denn wenn der Geldhahn zugedreht wird, wird gerade die Aufrechterhaltung dieser Angebote größte Schwierigkeiten haben. Und dann liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir wieder in der Verantwortung zu entscheiden von welchem Angebot oder von welchem Jugendtreff wir uns trennen wollen. Celle gibt jegliche Einflussnahme an den LK ab, „….dass er diese Verträge übernimmt, soweit sie den Aufgabenumfang betreffen, der vom LK übernommen wird.“ Die Entscheidungen über unsere Stadt, dass muss allen klar sein, werden zukünftig in der Trift getroffen. Die Strategie heißt nicht sparen, sondern abschaffen. Celle schafft sich ab.

Letztlich frage ich mich auch, warum der Personalrat bis heute das Benehmen nicht hergestellt hat, wenn doch alles so transparent und
sozialverträglich gestaltet wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn wir an der schwächsten Stelle, unseren Kindern, anfangen zu sparen, dann haben wir uns auch schon abgeschafft. Wir arm ist das denn.
Frei nach dem Slogan „Celle kann mehr“, verstehe ich heute „Celle kann mehr abgeben“, bis vom Oberzentrum Celle nichts mehr übrig bleibt.
Wir als SPD werden der Vorlage der Verwaltung auf keinen Fall folgen.

Iris Fiss (Unabhängige):

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, Herr Oberbürgermeister,
liebe Kollegen und Kolleginnen

Das Thema Jugendhilfe und Jugendpflege ist sicherlich ein sehr sensibles Thema. Als ich 2001 in den Rat kam hatte die Jugendhilfe
der Stadt Celle durch Frau Meier-Knapp-Herbst und ihrem gesamten Team fast so etwas wie eine bundesweite Vorbildfunktion. Hier wurden Projekte entwickelt und installiert die einige Städte als Leitfaden für ihre Jugendarbeit nahmen. Die Jugendhilfe, sprich der gesetzliche Teil der Jugendarbeit, war deshalb auch bei der Stadt angesiedelt und nicht beim Landkreis, wie es normalerweise gesetzlich vorgesehen ist.
Heute ist durch die desolate Haushaltssituation der Stadt Celle so etwas leider nicht wirklich mehr finanzierbar. Wenn wir also die Jugendhilfe dort hingeben wo sie gesetzlich eigentlich vorgesehen ist, würde dies, für die Stadt ca. 2,8 Millionen Euro pro Jahr an Einsparung bedeuten. Wichtig ist doch auch, dass die Jugendpflege, nämlich die freiwilligen Leistungen, bei der Stadt bleiben. So bleibt uns doch weiter ein Einfluss auf mögliche Projekte, erhalten.
Natürlich möchte keiner auf die Stadtteilprojekte verzichten. Hier leisten VSE und Caritas zusammen mit Vereinen und anderen Institutionen hervorragende Arbeit auf die wir, gerade in Ortsteilen wie zum Beispiel Vorwerk, nicht verzichten können und wollen. Ich bin mir sicher, dass wenn alles so bleibt wie es jetzt ist, werden diese freiwilligen Leistungen nicht mehr in der Form möglich sein, weil wir gar nicht mehr die finanziellen Mittel haben. Wenn wir ehrlich sind, haben wir alle jahrelang bei vielen finanziellen Entscheidungen die Augen zu gemacht obwohl wir wussten wir können es uns nicht wirklich leisten. Ich glaube auch, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Stadt und Landkreis weiterhin dafür sorgen werden, dass hier mit der bestmöglichsten Qualität die Jugendarbeit weitergeführt wird. Schenken wir doch einfach auch mal diesen Leuten unser Vertrauen.
Vielen Dank!

Redaktion
Celler Presse

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