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Wer tut wem etwas an?

Zum Internationalen „Tag gegen Gewalt an Frauen“ beleuchteten am Freitag Dr. Regina Mühlhäuser, Marlies Petersen und Leyla Hakrash das Gebiet in Bezug auf die Gewalt gegen Frauen in Kriegen und Konflikten.  

„Frauen in und nach Gewaltkonflikten“, so lautete am Freitag im Bomann-Museum offiziell das Thema. Anhand historischer und aktueller Beispiele sprachen die Historikerin Dr. Regina Mühlhäuser, die Sozialpädagogin Marlies Petersen sowie Leyla Hakrasch, eine Überlebende des Genozids an den Ezidinnen, über Ursachen, Funktionen und die Folgen dieses Phänomens. Moderiert wurde die Veranstaltung von Isabell Leverenz (Projekt FERMAN I Stiftung niedersächsische Gedenkstätten).

Gewalt gegen Frauen in Kriegen und Konflikten hat es immer in verschiedenster Form gegeben. So auch heute in der Ukraine, im Irak, in Syrien, in Afghanistan und vielen anderen Ländern. Doch was ist hiermit eigentlich gemeint und wie sind diese Gewaltformen zu verstehen?

Dr. Regina Mühlhäuser ist Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Ihre Arbeiten konzentrieren sich auf Gender und Sexualität in kriegerischen Konflikten. Sie koordiniert die Internationale Forschungsgruppe „Sexual Violence in Armed Conflict“.

„Um das Phänomen als solches besser zu verstehen“, so Mühlhäuser, „kommen wir meines Erachtens nicht daran vorbei, uns eben doch mit der Verwobenheit von Gewalt und Sexualität zu konfrontieren“.

„Gaby Zipfel hat die These aufgestellt, dass den Betroffenen so oft eine Mitschuld an dem unterstellt wird, was ihnen widerfahren war, weil es dieses Moment körperlicher Erregung gibt. Sie sagt, wenn eine Person zusammengeschlagen wird, kann diese Person vielleicht nicht rückhaltlos mit der Empathie Anwesender rechnen, muss sich möglicherweise gar sagen lassen, zu der Gewalttat durch irgendeine Form von Provokation beigetragen zu haben, aber diese Person kann doch davon ausgehen, dass ihre Erfahrung des gewaltsam zugefügten körperlichen Schmerzes unzweideutig als eine negative Erfahrung angesehen wird.

Opfern sexueller Gewalt wird diese eindeutige Zuordnung häufig versagt. Denn der Angriff zielt in diesem Fall nicht nur auf einen Körper, der schmerzempfindlich, sondern auch auf einen, der lustfähig ist. (…)

Es scheint dieses sexuelle Element zu sein, das die Glaubwürdigkeit des Opfers in Frage stellt. Den Betroffenen wird unterstellt, sie hätten die Tat »genossen« und also gewollt, womit Sympathie für den Täter erzeugt und die Tat zugleich legitimiert wird.

Bis heute besteht kein gesellschaftliches Einvernehmen darüber, dass es sich bei Vergewaltigung um eine negative Erfahrung und ein Verbrechen handelt (es sei denn der gewaltvolle Charakter wird dadurch verdeutlicht, dass sie besonders brutal ist und mit anderen Formen extremer Gewalt einhergeht).“

Inwiefern ist sexuelle Gewalt Teil der Kriegsführung? Gibt es hier historische Kontinuitätslinien?

„Wenn man Medienberichte liest, bekommt man ja oft den Eindruck, Vergewaltigung wird befohlen, und Rekruten führen so einen Befehl dann einfach aus. Aber so ist es in den meisten Fällen nicht. Vielmehr gehört es zum militärischen und gesellschaftlichen Wissen, dass Soldaten in der Extremsituation des Kriegs sexuelle Gewalt ausüben. Militärführer erwarten, dass das passieren wird. Sie leiten also entweder von vornherein Maßnahmen ein, die diese Form von Gewalt strikt verbietet und bestraft oder aber sie nutzen das Verhalten der Soldaten für ihre Kriegsführung.

Das heißt konkret: Befehlshaber tolerieren, akzeptieren, unterstützen das Verhalten ihrer Soldaten. Ein Beispiel: Am 16. März 1968 verübten US Soldaten im vietnamesischen My Lai ein Massaker. Am Vorabend traf sich die „Task Force Barker“, um sich auf den Angriff einzustimmen. Dabei befahl Kompaniechef Ernest Medina nicht: „Geht und vergewaltigt.“ Vielmehr ermunterte er seine Männer: Alles, was ihr findet, gehört Euch.“ Und am nächsten Tag kam es – neben anderen Verbrechen – zu Vergewaltigungen und sexueller Folter. (…)“

Warum ist die Vorstellung, die Opfer sexueller Gewalt wollten nicht darüber sprechen bis heute so verbreitet? Und wie wirkt sich das eigentlich aus?

„Um das Schweigen der Opfer zu erklären, werden oft die Begriffe Scham und Stigma herangezogen, und es entsteht der Eindruck, als seien dies unausweichliche und eindeutig beschreibbare Folgen dieser Form von Gewalt. Bis heute wurde aber kaum erforscht, wann und warum Schamgefühle entstehen und welche Bedeutungen sie haben. Oft erscheint es, als sei Scham eine natürliche Reaktion der Opfer sexueller Gewalt und nicht ein gesellschaftliches Phänomen, das es zu ergründen gilt. Darüber hinaus suggeriert der Fokus auf Scham und Stigma, Opfer sexueller Gewalt würden von ihren Familien und ihrem nahen Umfeld quasi zwangsläufig stigmatisiert und aktiv ausgegrenzt.“

Marlies Petersen ist Sozialpädagogin und in der Migrationsberatungsstelle für Erwachsene Zuwanderer der Caritas in Celle tätig. Sie begleitet und unterstützt Menschen mit Einwanderungsgeschichte.

Gibt es sexualisierte Gewalt in Unterkünften/Camps für Geflüchtete? Welchen besonderen Schutz brauchen Frauen und Mädchen während und nach der groben Gewalt? Wie können sie sich selbst schützen?

„Gegenfrage: Wie kommen Sie auf die Idee in den Unterkünften könnte es nicht zu Übergriffen kommen? Wir setzen im Sport Programme zum Schutz gegen sexuelle Übergriffe auf, wir zeigen im TV Spots zum Thema Missbrauch in der Familie-,,es muss nicht immer ein Fremder sein“ – wir reden in der MeToo-Debatte darüber. Deshalb ist das Camp an sich kein Schutzraum. Wir müssen Schutzräume schaffen in dem wir offen darüber sprechen und deshalb wurden Systeme geschaffen in denen sexuelle Übergriffe erschwert werden. Die Camps sind voll. Konkret heißt das:

Wir stellen Anträge, wenn wir davon erfahren, dass Frauen allein im Camp sind, auf Umverteilung, nehmen Kontakt mit den der vor Ort vorhandenen Sozial- oder Asylverfahrensberatung in den Landesaufnahmestellen auf. Wir beantragen, dass eine geschützte Unterbringung stattfindet, bzw. die Sozialdienste in den Camps unterstützen diese Personen.

Die Frauen können sich selbst schützen, indem sie im Camp darüber sprechen mit den Sozialdiensten bzw. die in jeder Landesaufnahmestelle vorhandene unabhängige Beratung. Ich möchte dabei betonen, dass hier auch die Angst vor Übergriffen ernst genommen werden, d.h. nicht, dass es ständig und überall durch geflüchtete Männer zu Übergriffen kommt. Das ist mir wichtig zu sagen. Es leben Menschen auf engen Raum mit Flucht- und Kriegserfahrungen.“

Wie werden Traumata bearbeitet? Welche Unterstützungsstrukturen gibt es für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, insbesondere von sexueller Gewalt (nach Gewaltkonflikten)?

„Für uns ist Ansprechpartner das NTFN (Netzwerk traumatisierter Flüchtlinge in Niedersachsen) – Kobra Hannover (Beratungsstelle gegen Menschenhandel) – Psycho-soz. Beratungsstelle in Celle- Psychiater*in

In der Zeit in der in Celle Familien durch das niedersächsische Aufnahmeprogramm für aus IS-Gefangenschaft geflohene Frauen und Kinder noch betreut wurden, bis 2019, gab es in Celle in der Beratungsstelle für psychisch Kranke eine 14-tägige Sprechzeit für Menschen mit Trauma vom NTFN. Leider gibt es dieses Angebot nicht mehr.“

Leyla Hakrasch, eine Überlebende des Genozids an den Ezidinnen. Hakrasch konnte mit vielen anderen Kurden vor der IS in das Sindschar-Gebirge fliehen.

Sie berichtete von den Widrigkeiten der Flucht und der daraus entstehenden Gewalt. Schwere Entscheidungen mussten getroffen und Menschen sogar zurückgelassen werden. Neben den schwierigen Witterungsverhältnissen war die Versorgungslage dramatisch. Im Shinschar-Gebirge gibt es kein Wasser und nur wenige Olivenbäume. Hilfsgüter konnten sporadisch mit dem Helikopter abgeworfen werden, doch kamen diese meist nur zerstört und unbrauchbar bei den Geflüchteten an, weil sie die Güter durch den Abwurf beschädigt wurden.

Eine Zuschauerin berichtete ebenfalls von ihrer Flucht. Sie hingegen wurde von der IS aufgegriffen, versklavt und sexuell missbraucht. Sie sagt, sie würde bei Gerichtsverfahren darüber sprechen, damit diese öffentlich werden, aber nicht in der Familie.

Dies führte zu einer Diskussion im Publikum, bei der eine (kurdische) Teilnehmerin erklärte, aus ihrer Sicht käme es durch die patriarchale Struktur in Familien, bei denen die sexuelle Unversehrtheit der Frauen und Mädchen durch die Männer zu schützen sind. Dieses System wird auch von Frauen mitgetragen, die diese patriarchale Struktur unterstützen. Eine andere Vermutung wurde in der Diskussion angestellt, dass die Familie die Opfer nicht schützen konnten und diese eigene Schuld eine Scham ist, mit der sie selbst nicht umgehen können.  So kommt es nach den Taten zu Schweigen in den Familien.

Die Gewalt, explizit gegen Frauen, Ältere und Menschen mit einer Behinderung sind gerade in Konflikten mannigfaltig. Schon allein eine aufkeimende Bedrohungslage oder die kräftezehrende Flucht wirken gewaltsam auf die Menschen. Flucht und Vertreibung wirken sich physisch und psychisch aus. Über die sexuelle Gewalt zu sprechen, muss sein Tabu verlieren. Sie ist eine Form der Gewalt die benannt werden muss. Aufgabe ist es, einen Raum zu schaffen in dem darüber gesprochen werden kann und wo sie auch öffentlich so benannt werden kann.

Redaktion
Celler Presse

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