Samstag, 8. November 2025

✔ unabhängig ✔ überparteilich ❤ kostenfrei

Anzeige

Anzeige

Einst waren sie Teil dieser Stadt – Stolpersteine für jüdische Celler verlegt

Die Tür des markanten Hauses am Großen Plan in der Celler Altstadt geht stetig auf und zu. Dass sich eine Gruppe von Menschen am Montagnachmittag vor dem Eingang versammelt hat, hält die Kunden nicht ab. Der Selbstbedienungsbereich der Sparkasse Celle-Wolfsburg-Gifhorn erfüllt einen Zweck und wird dementsprechend viel genutzt. Doch wie viele Kunden werden um die Geschichtsträchtigkeit dieses modern wirkenden Gebäudes wissen? Weder innen noch an der Fassade deuten eine Tafel, ein Bild oder eine Inschrift an, wem es einst gehörte.

Zu dem kleinen ins Pflaster eingelassenen Stein, der den Namensgeber des Platzes, aufgreift, gesellt sich seit einigen Jahren eine von der Stadtverwaltung initiierte Inschrift auf einem Brunnen wenige Meter vom Haus entfernt. Taubendreck hat die vor nicht allzu langer Zeit erneuerten Buchstaben verunreinigt, seitlich hat das Trägergestell Grünspan angesetzt.  „Robert Meyer, geboren 1874 in Celle – gestorben 1943 in Auschwitz“, ist auf dem Stolperstein zu lesen. Die kleine quadratische Messingplatte auf Beton trägt den Stil eines nachhaltigen Kunstprojektes in sich, das Gunter Demnig Mitte der 1990er Jahre ins Leben gerufen hat, um zu erinnern an die Opfer des nationalsozialistischen Regimes von 1933 bis 1945 in Deutschland.

Kleine Würfel mit großer Wirkung

Mehr als 100 dieser kleinen Würfel mit großer Wirkung finden sich mittlerweile in Celle. Die Trägerschaft für das Projekt liegt bei der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, unterstützt vom Neuen Rathaus. „Finanziert wird über Spenden“, erläutert die Ehrenvorsitzende Sabine Maehnert zum Auftakt der Veranstaltung, zu der sich zahlreiche Besucher eingefunden haben. Gemeinsam mit dem Historiker und Autor des Buches „… wo die Juden Häuser bekanntlich sind – Rundgang zur jüdischen Geschichte Celles“ Tim Wegener hat sie den Fokus für die diesjährige Stolpersteinverlegung auf ehemalige Celler Bürger gelegt, die es noch geschafft haben, zu emigrieren. „Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, einige der Celler jüdischen Familien vor ihren ehemaligen Wohn- und Geschäftshäusern wieder zusammenzuführen“, erläuterte die frühere Leiterin des Celler Stadtarchivs und Autorin zahlreicher dokumentarischer Schriften.

Am Beispiel der Familie von Robert Meyer wird die Intention deutlich: Er hätte zu seinen Kindern Gertrud und Robert Adolf, die bereits 1937 in die USA ausgewandert waren, emigrieren können. Doch die Stadt Celle verschleppte die Verkaufsverhandlungen für das Grundstück und das Warenhaus, dem heutigen Sparkassen-Gebäude, so lange, bis es für den Unternehmer zu spät war. Ab 1941 bestand für Juden ein Verbot für die Auswanderung. Der einst angesehene Bürger verschwand aus dem öffentlichen Leben, in zunehmender Isolation fristete er ein kümmerliches Dasein mitten in der Stadt, die er der Tradition seiner Familie folgend, aktiv mitgestaltet hatte. Im März 1943 wurde er als einer der letzten Celler Juden deportiert. Nun wurde der ihm zu Ehren gelegte Stolperstein ergänzt um diejenigen für seine geflüchtete Familie. „Sie war und ist immer noch Teil dieser Stadt“, hatte die Ur-Ur-Enkelin Robert Meyers, Madeline Berger, bei ihrem Celle-Besuch im Jahr 2019 gesagt.

Opfer zahlten für die Folgen der Pogromnacht

Gleiches trifft für die Familien Wolff und Hellmann zu. Beide betrieben sie Geschäfte in der Celler Altstadt, die Wolffs eines für Manufakturwaren sowie Herren- und Damenkonfektion in der Zöllnerstraße 44, und die Hellmanns eines für Textilien in der Mauernstraße 38. Theodor Braunschweiger (geb. 1909) war hier angestellt, Tim Wegener zeigt ein Foto von ihm in seinem Buch: Ein gutaussehender junger Mann mit dunklem Haar und einem verschmitzten Lächeln schaut den Betrachter an. Kurz nach der Pogromnacht, am 3. Dezember 1938, heiratete er die verwitwete Ladeninhaberin Berta Hellmann, zu diesem Zeitpunkt lag das schlimmste Ereignis seines Lebens bereits hinter ihm. Er war am 10. November 1938 ins KZ Sachsenhausen verschleppt worden und erkrankte an Tuberkulose, im Dezember entließ man ihn, er emigrierte unmittelbar nach Shanghai. Seine Frau wollte mit ihren beiden Kindern Emil-Jakob (geb. 1927) und Helene (geb. 1933) nicht viel später folgen, doch der Verkauf des Hauses verzögerte sich, hinzu kam, dass die Folgen der Zerstörung in der Pogromnacht von den Opfern bezahlt werden mussten. Ein Termin verstrich, auch der nächste drohte zu platzen: Berta Hellmann wartete nicht ab, sie verließ Deutschland mit den Kindern ohne den ohnehin viel zu geringen Erlös aus dem Hausverkauf. Viel Zeit blieb ihr nicht mit ihrem zweiten Ehemann. Die Folgen der Lagerhaft und das schwere Dasein in Shanghai führten zum Tod von Theodor Braunschweiger im Jahr 1941 mit nur 33 Jahren.

Nun erinnern Stolpersteine an ihn und die Familien Hellmann und Wolff. Für alle war Celle einst ihr Zuhause. Sabine Maehnert und Tim Wegener haben Rosen mitgebracht. Sie erzählen kurz über die Biografien der Geehrten und legen dann die Blumen nieder. Mit großer Anteilnahme verfolgt Christina Braul-Lied das Geschehen. „Das, was damals passiert ist, begleitet die Familien das gesamte Leben“, berichtet die Cellerin. Sie pflegt eine Brieffreundschaft zu Nachfahren von Helene Hellmann, die als Mädchen die Stadt verließ, in die USA ging und vierzig Jahre nach Kriegsende, im Jahr 1985, gemeinsam mit ihrem Bruder Emil-Jakob als Helen Bix auf Einladung der Verwaltung zu Besuch kam. „Sie hatten eine gute Zeit in Celle“, erzählt Christina Braul-Lied. Und so kamen sie gerne wieder, um Kindern und Enkeln die Stätten der Kindheit zu zeigen. Man lernte sich kennen, die Brieffreundschaft entstand. Am Ende der dritten Station in der Mauernstraße sagt Christina Braul-Lied: „Ich finde es schön, dass die Gedenksteine verlegt werden und werde natürlich in meinem nächsten Brief in die USA davon berichten.“

Anke Schlicht
Redaktion Celler Presse
Fotos: Anke Schlicht

Hinweis zu der Meldung
Diese Seite zeigt gesponsorten Marketing-Inhalt, Quell- und Informationslinks sowie extern eingespielte Banner und Flash-Anzeigen.

WhatsApp-Kanal Immer bestens informiert! Erhalten Sie die neuesten Nachrichten und Updates jetzt auch direkt auf Ihr Smartphone. Folgen Sie unserem WhatsApp-Kanal und bleiben Sie schnell und unkompliziert auf dem Laufenden. Hier klicken und abonnieren!



Anzeige