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„Die Geschichte der deutschen Sprache ist noch nicht zu Ende“

CELLE. „Alles was sich ändern kann, ändert sich“, stellte Prof. Dr. Jochen A. Bär fest, als er vor über 100 Besuchern auf Einladung der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) – Zweig Celle – über das Thema „Die Zukunft der deutschen Sprache“ referierte. Prof. Bär lehrt Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Vechta und ist Mitglied des Hauptvorstandes der Gesellschaft für deutsche Sprache.

„Hätten wir doch eine Universität“, sagte Horst Pape, Leiter des Celler Zweiges der GfdS, fast wehmütig, als er den Referenten begrüßte und auf den Universitätsstandort Vechta hinwies – Vechta mit gerade mal gut 31.000 Einwohnern.

Wie Bär schon angekündigt hatte, lasse sich die Zukunft der Sprache nicht vorhersagen wie das Wetter. Bestimmte längerfristige Entwicklungstendenzen könnten aber bestimmt werden. Dafür sei ein Blick in die Vergangenheit notwendig, um von dieser die Entwicklung hin zur Gegenwart sowie Annahmen über die kommenden Jahrzehnte ableiten zu können. So schlug der Professor einen weiten Bogen der Sprachentwicklung vom Jahr 750 an. Bis zum Jahr 1050 sprach man Althochdeutsch, von 1050 bis 1350 Mittelhochdeutsch, von 1350 bis 1650 Frühneuhochdeutsch und von 1650 bis 1950 Neuhochdeutsch. Die deutsche Sprache ab 1950 ist Spätneuhochdeutsch. Der Sprachwandel ist demnach in einem Rhythmus von 300 Jahren zu beobachten. In den ersten beiden Perioden gab es nur zwei Tempora: Präsens und Präteritum, und es wurde die doppelte Verneinung angewandt.

Spachwandelerscheinungen sind unter anderem in der Mehrzahlbildung festzustellen; „das Wort“ wurde in der Mehrzahl „die Wort“, „das Schaf wurde „die Schaf“, das „e“ für die Mehrzahlbildung brauchte man nicht. Verschwunden im Sprachgebrauch sind Begriffe wie Muhme oder Oheim, das sind heute Tante und Onkel, aus Base und Vetter sind Cousine und Cousin geworden. Auch hat sich die Bedeutung von Wörtern verändert. Ein ganz plastisches Beispiel dafür ist das Wort „geil“ – inzwischen in aller Munde. Vom 8. bis 13. Jahrhundert bedeutete es „stark“, „kräftig“, „tüchtig“. Dann kam die Wandlung im 14./15. Jahrhundert zu „lüstern“, „sexuell“. Ab etwa 1980 kam die Entschärfung in „toll“, „klasse“, „erfreulich“. Selbst das unverfängliche Wort „alt“ hat einen Bedeutungswandel erfahren; im späten Mittelalter verstand man darunter „abgefeimt“, „verrucht“, „verworfen“. Jetzt hat sich die Bedeutung als verstärkendes Adjektiv mit negativem Hintergrund verfestigt, wenn es nicht um die Anzahl der Jahre geht, z. B. „du alte Waldsau“.

Auch ging der Professor auf aktuelle umgangssprachliche Besonderheiten ein. Den Satz „Ich habe meinem Vater sein Auto gewaschen“ könne man nur in zwei Lesarten klarkriegen. „Ich habe das Auto meines Vaters gewaschen“ ist der erste Reflex für die Anwendung eines korrekten Genitivs. Nun aber in der zweiten Deutung braucht man keinen Genitiv, wenn man es in dem Sinn „Ich habe meinem Vater das Auto gewaschen“ meint – dann würde auch statt „das“ das „sein“ nicht stören. Apropos Genitiv: Wie man im täglichen Sprachgebrauch feststellen kann, ist “der Dativ dem Genitiv sein Tod”. “Wegen dem zu erwartenden Regen sollten Sie den Regenschirm nicht vergessen!” Das hat es sogar in die Nachrichtensendungen geschafft. Andererseits erfährt der Genitiv ein kurioses Comeback in einer noch kurioseren Kombination: “Wegen dem Verkehrsstau musste ich gegenüber des Bahnhofs parken.” Oder: “Ich melde mich gemäß des Gerichtsurteils.” Weder gegenüber noch gemäß erfordern einen Genitiv.

Großen Einfluss auf das aktuelle Spätneuhochdeutsch hat natürlich das Internet und die dort grassierende Chatsprache. Mit Blick auf die Zukunft wird es einen stärker werdenden Ausgleich zwischen der Leitvarietät der Standardsprache und den Dialektvarietäten geben; auch werde die Sprechsprache Einfluss auf die Schreibsprache nehmen. Zudem werde sich der Einfluss der englischen Sprache verstärken, und die Geltung des Deutschen werde eingeschränkt, vor allem als Wissenschaftssprache. Prof. Bär: „Wenn wir so weitermachen, ist Deutsch als Wissenschaftssprache bald nicht mehr vorhanden.“ Deutsch sei allerdings als Fremdsprache im Aufwind.
„Türkisch und arabisch werden die deutsche Sprache prägen, davon ist auszugehen“, stellte Prof. Bär in Aussicht. Inwieweit auch türkisch mit dem Soziolekt „Kiezdeutsch“ oder gar chinesisch sich niederschlagen werden, ist ungewiss. Prof. Bär setzt sich vehement dafür ein, die deutsche Sprache zu pflegen. Die Förderung des Sprachbewusstseins sei wünschenswert, so Bär. Aber auch: „Einen bestimmten Status quo zu zementieren, ist weder möglich noch sinnvoll.“ Darum werde sich alles ändern was sich ändern kann.

Redaktion
Celler Presse

 

 

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