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Niedersächsischer Verfassungsschutzbericht 2019: Rechtsextremismus heterogener, Zahl der Islamisten stagniert, Anstieg im Linksextremismus

NIEDERSACHSEN. Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, hat heute (27.05.2020) gemeinsam mit dem Präsidenten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Bernhard Witthaut, den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 vorgelegt.

Pistorius: „Der Rechtsextremismus ist derzeit für die Sicherheitsbehörden die größte Herausforderung. Die Zahl der Anhänger ist hier zwar annähernd gleich geblieben, aber der gesamte Phänomenbereich wird gerade durch die Vernetzung im Internet immer heterogener. Im Linksextremismus dagegen hat sich das Personenpotenzial erhöht. Die Gewaltbereitschaft ist hier nach wie vor hoch. Der Islamismus und insbesondere der Salafismus werden nach wie vor von den Sicherheitsbehörden aufmerksam beobachtet. Die Anzahl der Salafisten in Niedersachsen hat sich stabilisiert, allerdings mit 900 Personen auf einem hohen Niveau.“

Zu den Phänomenbereichen im Einzelnen:

Rechtsextremismus:

Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Niedersachsen umfasst derzeit etwa 1.160 Personen. Damit haben sich gegenüber dem Vorjahr kaum Veränderungen ergeben. Die Zahlen erfassen dabei die Bestrebungen, also laut Definition im Verfassungsschutzgesetz „politisch bestimmte zweck- und zielgerichtete Verhaltensweisen“. Sie bringen die Gefahrenlage insofern nur unzureichend zum Ausdruck, weil sich etwa bestimmte Hass-Postings oder Internet-Kommentare nicht in diesen Zahlen wiederfinden.

Dazu Minister Pistorius: „Wir dürfen uns nicht dadurch täuschen lassen, dass das Personenpotenzial nicht angestiegen ist: Der Rechtsextremismus ist gerade durch die zunehmende Vernetzung und den hohen Organisationsgrad im Internet unberechenbarer geworden.“

Gleichzeitig vermischen sich rechtsextremistische und rechtspopulistische Positionen mehr und mehr. Insbesondere im Internet bietet sich Rechtsextremisten die Möglichkeit, Meinungsbildungsprozesse gezielt zu beeinflussen.

Die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist derzeit kein Beobachtungsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. „Wir bewerten die AfD jedoch kontinuierlich anhand von öffentlich zugänglichen Informationen und Erkenntnissen neu“, so Verfassungsschutzpräsident Witthaut.

Am 19.03.2020 wurde in Niedersachsen der entsprechende völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss, der dem „Flügel“ zugerechnet wird, zum Beobachtungsobjekt bestimmt. „Die Anhänger und Funktionäre des sogenannten Flügels verstoßen fortlaufend mit ihren Äußerungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der sogenannte ‚Flügel‘ ist in rechtsextremistischen Strukturen vernetzt und hat einen zunehmenden Einfluss innerhalb der AfD“, so Minister Pistorius.

Die rechtsextremistischen Parteien haben in Niedersachsen keinen szeneprägenden Einfluss mehr. Die NPD verlor sowohl in Niedersachsen (Rückgang von 250 auf 240) als auch auf Bundesebene erneut Mitglieder. Obwohl die niedersächsische NPD in Eschede inzwischen über eine eigene Immobilie verfügt, erscheint es mehr als zweifelhaft, dass sie den Negativtrend der letzten Jahre umkehren kann. Noch einflussloser ist der lediglich 30 Mitglieder zählende Landesverband der neonazistischen Partei „Die Rechte“, der im Jahr 2019 kaum in Erscheinung getreten ist. Die Partei „Der III. Weg“ ist in Niedersachsen strukturell nicht verankert und hat nur wenige Einzelmitglieder.

Auch die neonazistischen Kameradschaften haben nicht mehr die szeneprägende Bedeutung früherer Jahre. Nennenswerte Aktivitäten gingen im letzten Jahr lediglich von den Neonazi-Szenen im Harz und in Göttingen aus; hinzu kamen die „Kameradschaft Einbeck“ und die Gruppierung „Adrenalin BS“ bzw. „Adrenalin 381″ im Raum Braunschweig. Beide Organisationen haben sich nach eigenen Angaben inzwischen aufgelöst; ihre ehemaligen Anhän- ger sind aber in anderen rechtsextremistischen Zusammenhängen nach wie vor aktiv. Das Mitgliederpotenzial der neonazistischen Szene liegt in Niedersachsen wie bisher bei etwa 260 Personen.

Die rechtsextremistische Musik ist immer noch ein wesentlicher Faktor bei der Vermittlung von Feindbildern. Als niedrigschwelliges Angebot ist sie besonders geeignet, um junge Menschen an die Ideologie des Rechtsextremismus heranzuführen. Ihre Verbreitung hat durch das Internet neue Dimensionen angenommen. Ein rechtsextremistisches Konzertwesen konnte sich aber auch 2019 nicht in Niedersachsen etablieren. Es fand kein einziges Konzert statt.

Ebenso stagnieren in Niedersachsen die Mitgliederzahlen der „Identitären Bewegung Deutschland“ und der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA). Letztere ist faktisch aufgelöst, der ihr zurechenbare Personenkreis aber weiter aktiv. Die „Identitäre Bewegung“ kommt in Niedersachsen unverändert auf etwa 50 Personen und hat durch die Sperrung ihrer Facebook- und Instagram-Profile im Mai 2018 Probleme, ihre Themen und Kampagnen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gleiches gilt in Niedersachsen für die JA bzw. für den Personenkreis von etwa 25 Mitgliedern, der ihr nach wie vor zugerechnet wird.

Die Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ ist mit knapp 1.300 Personen leicht rückläufig. Da der Besitz von Waffen eine potenzielle Gefahr darstellt, werden die waffenrechtlichen Erlaubnisse von Angehörigen der Reichsbürgerszene überprüft und, wenn möglich, entzogen.

In die aktuellen Protestaktionen gegen die Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie mischen sich zunehmend Rechtspopulisten und Rechtsextreme. Dazu Innenminister Pistorius: „Krude Verschwörungstheorien sind Gift für unsere Freiheit, unsere Grundrechte und die Verfassung. Sie erreichen die Menschen über soziale Netzwerke, über WhatsApp und andere Kanäle. Hinter der Verbreitung steckt nur ein Ziel: Menschen zu verunsichern und auseinander zu treiben. Extremisten – insbesondere Rechtsextremisten – beteiligen sich an den Kundgebungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, um eigene Akzente zu setzen. Es ist der – bisher weitgehend erfolglose – Versuch, Proteste von einem Konglomerat aus Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern, Populisten und vielen mehr für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Wir müssen besonders aufpassen, wenn Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen, Nationalitäten oder Glaubensrichtungen als Schuldige für diese Krise ausgemacht werden, und wenn die Botschaften rassistische Züge bekommen.“

Linksextremismus:

Das Personenpotenzial der Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten sowie Anarchisten hat sich in Niedersachsen im Jahr 2019 von 700 auf 780 Personen erhöht (Anstieg Bund: von 9.000 auf 9.200 Personen).

Die Entwicklung im Linksextremismus bestimmt nach wie vor weitgehend die autonome Szene. In ihrem Hauptagitationsfeld, der sogenannten Antifaschismusarbeit, konzentriert sie sich auf die direkte Auseinandersetzung mit der AfD. Insbesondere Autos und Wohnhäuser von AfD-Angehörigen waren Angriffsziele für die autonome Szene. Auch sogenannte Outing-Aktionen prägten die Auseinandersetzung.

Die Gewaltbereitschaft der Autonomen bewegt sich weiterhin auf hohem Niveau.

Islamismus:

Die salafistische Szene in Niedersachsen hat sich seit 2011 von 275 Anhängern auf aktuell 900 Anhänger (bundesweit 12.150) mehr als verdreifacht. Im Jahr 2019 war jedoch nur noch ein geringer Zuwachs zu verzeichnen. Die Anhängerzahlen stabilisieren sich mittlerweile auf einem hohen Niveau.

Schwerpunkte in Niedersachsen sind weiterhin die beiden salafistisch dominierten Moscheen „Deutschsprachiger Islamkreis e. V.“ (DIK) Hannover und „Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V.“ (DMG) Braunschweig. Salafistische Aktivitäten sind aber landesweit festzustellen.

Ein besonderes Augenmerk gilt auch Kindern, die in salafistisch geprägten Familien aufwachsen. Von klein auf werden die Kinder zur Ablehnung der „ungläubigen“ Mehrheitsgesellschaft erzogen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat dazu im November 2019 eine Informationsbroschüre mit dem Titel „Jugend und Familie im Salafismus“ veröffentlicht.

Auf den gestiegenen Verfolgungsdruck und die stärkere Sensibilität der Gesellschaft hat die Szene reagiert und sich neue Aktionsfelder erschlossen. Islamisten und insbesondere Salafisten besetzen zunehmend Themen, die nicht mehr klar dem extremistischen Spektrum zuzuordnen sind.

So machen sie es potenziellen neuen Anhängern schwer zu erkennen, wer sich hinter diesen Aktivitäten verbirgt. Ein Beispiel dafür ist die Föderale Islamische Union (FIU), ein Projekt bekannter Akteure des salafistischen Spektrums aus Hannover. Diese griff im Februar 2020 den Anschlag in Hanau auf und initiierte eine Petition zur Ernennung eines „Bundesbeauftragten zum Schutz der Muslime und des muslimischen Lebens in Deutschland“. Innerhalb eines Monats konnte die FIU fast 60.000 Unterschriften für ihr Anliegen sammeln und erreichte damit das Quorum für eine Befassung des Bundestags mit der Petition.

Seit dem militärischen Verlust des Territoriums der Terrororganisation des selbsternannten „Islamischen Staates“ gibt es grundsätzlich keine Ausreisen nach Syrien oder in den Irak mehr. Von den insgesamt 85 aus Niedersachen in die Krisengebiete ausgereisten Personen sind bisher 40 zurückkehrt, weitere Personen in niedriger zweistelliger Anzahl könnten noch nach Niedersachsen zurückkehren.

Dazu Minister Pistorius: „Deutschland ist gesetzlich verpflichtet, eigene Staatsangehörige wieder aufzunehmen. Zwar können die Personen nach der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts 2019 ihre Staatsangehörigkeit verlieren, das gilt aber nicht rückwirkend. Bei den Rückkehrern, die vor 2019 ausgereist oder bereits wieder im Land sind, müssen wir alles tun, was möglich ist, damit von diesen Personen keine Gefahr ausgeht.“

Extremismus mit Auslandsbezug:

Das Mitgliederpotenzial der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) ist mit 1.600 Personen gleichgeblieben. Die türkische nationalistische „Ülkücü“-Bewegung, auch als „Graue Wölfe“ bezeichnet, hat nach wie vor etwa 700 Anhänger.

Vermutlich um einem behördlichen Verbot des Dachverbandes „Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e. V.“ (NAV-DEM) zuvorzukommen, wurde Anfang Mai 2019 eine neue Dachorganisation für Deutschland gegründet, die „Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland“ (KON-MED).

Gegen die im Oktober 2019 begonnene türkische Militäroperation „Peace Spring“ (Friedensquelle) in den kurdisch besiedelten Gebieten in Nordsyrien protestierten in Niedersachsen die Anhänger der PKK mit zahlreichen Veranstaltungen. Dabei fiel die „Ülkücü“-Bewegung wegen zunehmender Aktivitäten auf, auch im Zusammenhang mit direkten Auseinandersetzungen mit Angehörigen der PKK.

Zur Präventionsarbeit der Landesregierung:

Die Niedersächsische Landesregierung hat im Herbst 2018 beschlossen, die „Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen“ (KIP NI) zum „Landesprogramm für Islamismusprävention“ auszubauen. Die an der KIP NI beteiligten Ressorts – das geschäftsführende Ministerium für Inneres und Sport, das Justizministerium mit dem Landespräventionsrat, das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung sowie das Kultusministerium – haben den Beschluss in enger Abstimmung mit dem „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus – für Demokratie und Menschenrechte“ umgesetzt. So können Synergieeffekte genutzt werden, und die Extremismusprävention in Niedersachsen wird insgesamt vorangebracht.

Dazu Minister Pistorius: „Die KIP NI hat sich mehr als bewährt. Mit der Umsetzung ihres Ausbaus zum Landesprogramm für Islamismusprävention stärken wir diesen wichtigen ressortübergreifenden Ansatz. Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen ist es wichtig, alle Regionen einzubinden. Darauf haben wir in der Entwicklung des Landesprogramms großen Wert gelegt.“

Das Aussteigerprogramm „Aktion Neustart“ hat seine Aktivitäten in den Sozialen Netzwerken weiter ausgebaut. Neben den Social Media Accounts von „Aktion Neustart“ hat der Niedersächsische Verfassungsschutz im Oktober 2019 drei weitere Social Media-Kanäle geschaffen.

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