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“Jazz zum Dritten” – Einheitsfeier am Schloss

CELLE. Mit einem Gottesdienst begann der Celler Festakt zum dritten Oktober. Gemeinsam noch mit dem plötzlich verstorbenen Superintendenten des Kirchenkreises Celle Dr. Hans-Georg Sundermann geplanten Veranstaltung, waren die Gemüter sichtbar getrübt. Dennoch wollte man das Fest stattfinden lassen und gemeinsam an die Geschichte erinnern. Vor dem Celler Schoss traten dann die Bands auf der großen Bühne auf und begeisterten mit ihrer Musik die Menschen.

Mit Jazzmusik begann auch der Gottesdienst zur heutigen Veranstaltung „Jazz zum Dritten“ in der Celler Stadtkirche. Pastor Uwe Schmidt-Seffers hatte dabei einen schweren Stand. Der Tod des Superintendenten des Kirchenkreises Celle Dr. Hans-Georg Sundermann legte einen schweren Schatten auf die Veranstaltung und den Gottesdienst. Der Pastor erinnerte in der Eröffnung an den „fröhlichen Würdenträger, Freund und Menschen“ und lud zum Gebet.  Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende erinnerte ebenfalls an den plötzlich an einem Herzinfarkt verstorbenen Sundermann. Gemeinsam habe man die Veranstaltung geplant, und Sundermann hatte immer viele Ideen, so Mende. Voller Tatenrang und Engagement berichtete er noch auf der Pressekonferenz in der vergangenen Woche über die Vorhaben zum Tag der Deutschen Einheit. Der Tod Sundermanns erschütterte Mende zutiefst. Mit Sundermanns Familie habe man überlegt, ob man die heutige Veranstaltung nicht absagen sollte, doch man habe sich entschieden, in seinem Gedenken den Festakt stattfinden zu lassen.

„26 Jahre danach ist noch nicht alles gut, dabei ziehen dunkle Wolken auf und wir wissen noch nicht, wohin es uns führt“, mahnt der Pastor und leitete damit zum eigentlichen Thema des Tages über.  Pastor Schmidt-Seffers erinnerte daran, dass dieses gemeinsame Fest von Kirche und Politik bereits zum vierten Mal stattfindet. Die Kritik, dass sich Kirche und Politik nicht zu nahekommen sollten, wies Schmidt-Seffers zurück. Man habe aus der dunklen Geschichte gelernt. Die Wiedervereinigung bewege in unterschiedlicher Form noch immer die Gemüter.

Nachdem Kirchenvorstandsvorsitzender, Dr. Volker Witte, seine Worte an die Kirchenbesucher richtete, unterstrich im Anschluss Pastor Schmidt-Seffers den besonderen Tag mit seinen ganz persönlichen Erinnerungen. Er selbst reiste für vier Wochen in die damalige DDR nach Leipzig. Er erinnerte sich an den Tränenpalast und die bizarren Kontrollen der Grenzbeamten.

„Freiheit war dort nur ein Wort mit acht Buchstaben“, merkte der Pastor an. „Der Tag der Deutschen Einheit bleibt weiterhin ein wichtiger Feiertag und es ist ein Höhepunkt der jüngeren deutschen Geschichte“. Nach dem Brexit, dem neu aufflammenden Nationalismus in ganz Europa und dem Fremdenhass ohne Fremde in Mecklenburg-Vorpommern spricht Schmidt-Seffers von einer Litanei des Schreckens. „Es ist schwer, doch man müsse sich erinnern. Die deutsche Wiedervereinigung und das zusammengewachsene Europa dürften nicht in Vergessenheit geraten.

Ja, wir befinden uns nicht mehr auf dem Gipfel der Einheitsfeiern, wie im Jahr 1989/90.
Ein Jahr nach der Silberhochzeit sind wir auf Wegen unterwegs, die durch morastiges Gelände führt.
Aber wir können gehen – und ein Wort, lassen Sie mich das einfach über den garstigen Graben der Geschichte in unsere Gegenwart hinüberglauben:
Ein Wort gilt auch uns: Steht auf und fürchtet euch nicht!”

Mit einem Augenzwinkern hatte der die Angelsportfreunde ermutigt, sich über ihre Grußformel „Petri Heil“, angesichts der Forderungen der AfD auf Menschen zu schießen, Gedanken zu machen.

Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende hatte die Gelegenheit, am Ende des Gottesdienstes sich an die Gemeinde zu wenden. Obwohl es Mende angesichts des Todes des Superintendenten sichtbar schwerfiel, wolle man in Absprache mit seiner Familie gemeinsam im Sinne Sundermanns feiern.

Zum Tag der Deutschen Einheit erinnerte Mende an die Freiheit. Die Errungenschaften geben jedoch den Menschen nicht nur mehr Möglichkeiten, sie erleichtern ihnen auch auf emotionale Art und Weise sich zu Wort zu melden. Im Internet falle dies jedoch oft ungehemmt, beleidigend und respektlos gegenüber anderen Menschen aus.

Die Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland und der Politik fußen jedoch nicht auf emotionalen Entscheidungen, sondern auf der Vernunft. Man müsse sich wieder generell der Vernunft zuwenden, forderte Mende.

140 Zeichen beim Kurznachrichtendienst „Twitter“ oder zusammengeschnittene 30 Sekunden in einem TV Beitrag werden der Vernunft nicht gerecht, unterstrich Mende und fuhr mit dem Apell fort: „Nehmen wir uns für die Vernunft wieder etwas Zeit. Widersprechen wir denen, die eine schnelle aber emotionale Entscheidung fordern“.

Vor dem Celler Schloss stand eine große Bühne, Sitzmöglichkeiten luden zum Verweilen und Genießen ein. Die Besucher nutzen die Möglichkeit und genossen die Jazz-Musik und die ab und zu durch die Wolkendecken dringenden Sonnenstrahlen. Die „Jazz Connection Celle“ und der „oldtime company leuna“ hatten dabei alle Hände voll zu tun. Die Besucher liebten den schwungvollen Klang und konnten gar nicht genug von der Musik bekommen. Kulinarisch wurde die Veranstaltung von der Gastronomie aus dem Celler Schloss, dem SCHLOSSKÖNIG und der Celler Catering und Eventgastronomie „Celler Spießer“ versorgt.

Ein schönes Fest zum Verweilen und Genießen.

Redaktion
Celler Presse

Die vollständige Rede des Oberbürgermeisters:

Sehr geehrter Herr Schmidt-Seffers,
sehr geehrter Dr. Witte als Vorsitzender des Kirchenvorstands,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

heute die passenden Worte anlässlich des Tages der Deutschen Einheit hier in dieser Kirche zu finden, fällt nicht leicht. Zu lebhaft steht mir vor Augen, wie ich gemeinsam mit Hans-Georg Sundermann heute vor genau einer Woche die Öffentlichkeit eingeladen habe, diesen Tag der Deutschen Einheit mit einem gemeinsamen Fest zu begehen. Hans-Georg Sundermann konnte ich 2012 sofort davon begeistern, diesen Tag, diesen Feiertag, diesen Tag der Deutschen Einheit als gemeinsames Fest sowohl von weltlicher Gemeinde als auch von kirchlicher Gemeinde zu begehen. Er war davon überzeugt, dass die Kirche ihren Anteil an der Wiedervereinigung hatte und dass dies durch ein gemeinsames Fest unterstrichen werden kann und muss. Auch in diesem Jahr hat Hans-Georg Sundermann sich darauf gefreut und hatte am vergangenen Montag schon das Konzept für den heutigen Gottesdienst, eine Kurzfassung eines Gottesdienstes, die dem Fest angemessen ist, mit in die Pressekonferenz genommen. Er war guter Dinge und so hat es mich sprachlos gemacht, als ich dann einen Tag später erfahren musste, dass Hans-Georg Sundermann an den Folgen eines Herzinfarktes noch in derselben Nacht verstorben ist.

Gerne hätte ich jetzt hier mit ihm gemeinsam gestanden, denn ich weiß, Hans-Georg Sundermann hatte etwas zu sagen und er hätte uns allen auch diesmal  wieder nachdenkenswerte Worte mit in diesem Tag der Deutschen Einheit auf den Weg gegeben. So bleibt mir heute nur zu trauern und trotzdem zu versuchen, den Weg für uns, für Sie zu finden, in ein Fest, das trotz aller Trauer ja auch in seinem Sinne gefeiert werden soll – dazu haben wir uns mit der Kirche und über sie auch mit der Familie Sundermann eng abgestimmt. Ich bin dankbar, dass wir uns so entscheiden konnten. Herzlichen Dank an die Familie Sundermann.

In meiner Rede möchte ich anknüpfen an ein Gespräch, das ich in dieser Woche mit dem Weihbischof der katholischen Kirche,  Heinz-Günter Bongartz, führen durfte. Er erzählte mir, dass er einst im Gespräch mit dem Gemeindepfarrer  der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer,  die wahren Hintergründe für den 9. November 1989 erfahren habe. Schon seit September 1982 fanden nämlich im Rahmen der sogenannten Friedensdekade montagsabends in der Nikolaikirche Friedensgebete statt. Anschließend folgten, damals noch dem Pershing II- und Nato-Doppelbeschluss geschuldet, Friedensmärsche durch die Stadt, die sogenannten Montagsmärsche. Diese gingen im Laufe der Jahre zurück. Führer erzählte dem Weihbischof, dass er eigentlich mit dieser Tradition dann auch aufhören wollte, nachdem mehrfach montags nur noch zwei ältere Frauen aus der Gemeinde zu diesen Friedensgebeten gekommen waren. Er habe sie angesprochen und gefragt, warum sie denn verharren und nicht aufgeben würden? Sie aber antworteten: „Nein, so lange wir kommen und beten, so lange besteht Hoffnung“.  Das war das Ausschlaggebende für Führer, so schilderte er es dem Weihbischof.  So beschreibt er es auch in seiner Biografie, wie er  dann doch die Montagsdemonstrationen fortgesetzt und zu einem positiven Ende geführt habe, welches  dann 1988/89 in der  Wiedervereinigung und zwar der friedlichen Wiedervereinigung beider deutscher Staaten gemündet habe.

Dieses Beispiel des Glaubens und die Bereitschaft der Kirche, sich im Rahmen des politischen Gemeinwesens für eine bessere Zukunft zu engagieren kann und muss, so glaube ich, immer wieder am 3. Oktober herausgestrichen werden. Glaube kann Berge versetzen, das ist das Positive dieser emotionalen Seite. Das, was wir heute aber auch erleben, ist der andere Teil der Emotionalität. Wir sind heute sehr viel stärker emotional unterwegs, als dies früher der Fall gewesen ist: sei es im Internet, in Wahlkämpfen und in Entscheidungen. Gerade das Internet lädt dazu ein, seinen Emotionen und Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ungehemmt wird dort beleidigt, falsch Zeugnis geredet und an den Pranger gestellt. Ungehemmt in der Sprache und ungehemmt und respektlos gegenüber anderen Menschen.

Leider sind Emotionen in der Regel nicht unbedingt die klügsten Ratgeber. Die Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland und Europas, die Sicherheit und Stabilität unseres Staatswesens, die hohe Achtung vor dem anderen und der Respekt vor dem Rechtsstaat haben sich nicht aus emotionalen Entscheidungen herausgebildet, sondern haben als Grundlage die Vernunft. Und ich glaube, dass der Vernunft und der Ratio gerade in heutigen Zeiten, in denen neue, inzwischen auch nicht mehr ganz so neue Medien unser Miteinander erheblich beeinflussen, wieder der Stellenwert zukommen sollte, den Vernunft und Ratio über viele Jahrzehnte in Deutschland und Europa gehabt haben.

Sicherlich ist die Wiedervereinigung eine hochemotionale Entscheidung des gesamten deutschen Volkes gewesen. Sie ist ganz sicher von der überwiegenden, und zwar von der weit überwiegenden Masse und Mehrheit der deutschen Bevölkerung gewollt worden. Wie die deutsche Wiedervereinigung vollzogen wurde, dafür haben sich dann allerdings viele Menschen an einen Tisch gesetzt, um mit Vernunft die Dinge zu regeln. Mit Vernunft hat man die Alliierten davon überzeugen können, dass von Deutschland keine Gefahr mehr ausgeht und mit Vernunft hat man sie davon überzeugen können, diesen Prozess der deutschen Wiedervereinigung mitzugehen. Allein mit emotionalen Gründen hätten wir sicherlich nicht gleichermaßen überzeugen können.

Nun werden in vielen Fällen, und ich sehe das insbesondere in Verbindung mit der Zuwanderung von Migrantinnen und Migranten, von Flüchtlingen, emotionale Argumente, Behauptungen und Befürchtungen in die öffentliche Diskussion gebracht. Im Fernsehen und im Rundfunkt hat man dann 30 Sekunden Zeit, komplexe Sachverhalte zu erklären oder auf Twitter 140 Zeichen, um an den Intellekt und die Vernunft zu appellieren. Das wird unserer komplexen Welt nicht gerecht. Unvernunft und Emotionalität hat uns vor über 70 Jahren an den menschlichen Abgrund und das größte Unglück der neueren Geschichte geführt.

Deshalb mein Appell: Nehmen wir uns Zeit für Vernunft, nehmen wir uns Zeit, gerade jetzt, wo wir wieder vor Herausforderungen stehen, durch Sachlichkeit und Sachargumente, durch hinreichendes Abwägen und Überlegen die richtigen Schlussfolgerungen für unser Gemeinwesen zu ziehen. Widersprechen wir denen, die schnelle Lösungen für komplexe Sachverhalte bieten, widersprechen wir denjenigen, die Angst schüren und damit den Weg in ein rationales Verhalten blockieren wollen. Mit diesem Appell an die Vernunft will ich Sie gerne in den heutigen Tag der Deutschen Einheit hinausgehen lassen.  Feiern wir gemeinsam vor dem Schloss und verbringen dort ein paar frohe Stunden!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

 

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