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Bilder einer untergegangenen Welt – „Grenzland“ in der Celler Synagoge

Ist es das Licht der Nachmittagsstunden unter wolkenverhangenem Himmel, das den Fotos von Christian Herrmann eine seltsame Melancholie verleiht? Oder sind es allein die Motive, die von einer fast vollständig untergegangenen Welt in Osteuropa erzählen? Welche Stimmungslage würde besser passen zu Straßenpflaster, gearbeitet aus Grabsteinen, zu verrümpelten Lagerräumen, die einmal Synagogen waren, zu verwahrlosten Friedhöfen, auf denen Hühner picken, dem Verfall preisgegebenen Siedlungen, die einst Schtetl hießen und eine eigene Lebensform bargen?

Der Kölner Fotograf Christian Herrmann findet die Orte für seine Bilder auf Reisen in die Ukraine, Belarus, Rumänien, Polen und Litauen. „Die Fotos haben mich elektrisiert“, sagt Angelika Tarokic anlässlich eines Rundgangs durch die Ausstellung in der Celler Synagoge, die noch bis zum 25. Februar 2024 zu sehen ist. Die Leiterin des Stadtarchivs Celle holte sie gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde nach Celle. Die 35 Werke faszinieren und irritieren gleichermaßen – nicht zuletzt angesichts ihrer Farbigkeit. Sie entreißt die Sujets dem Historischen, das uns üblicherweise, wenn es in Bildform eingefangen wurde, in Schwarz-Weiß begegnet, holt sie in die Aktualität unserer Tage und konfrontiert uns gleichsam mit dem Titel gebenden „Grenzland“ – angesiedelt zwischen Vergangenheit und Gegenwart. In den Erläuterungen finden sich Sätze wie: „Die Straßenzüge sind seit der Zwischenkriegszeit nahezu unverändert geblieben“, über ein ehemaliges Schtetl in Litauen. Ihre Häuser und Plätze sind noch da, aber die Menschen fehlen, wurden ermordet von den deutschen Besatzern, weil sie jüdisch waren. Die wenigen, die überlebten und die Sowjetzeit hindurch blieben, gingen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 – oft so schnell und überstürzt, dass ein Teil der Häuser nicht verkauft wurde und seither verlassen ist und verfällt. Die Friedhöfe der Gemeinden wurden ihrer Bestimmung beraubt, Grabsteine wie Synagogen und andere Zeugnisse einer einzigartigen Kultur zweckentfremdet. Christian Herrmann dokumentiert all das nicht nur, sondern sprengt den Rahmen des Dokumentarischen und schafft mit seinen Fotografien Kunst: „Er geht mit einem künstlerischen Auge ans Werk, die Bilderreihe ist wie aus einem Guss, sie hat eine eigene Sprache, die Beleuchtung ist von einem roten Faden durchzogen“, zeigt sich der Celler Profifotograf Walter Schmidt sehr angetan von der Ausstellung.

Diese möchte Herrmann nicht verstanden wissen als „letzte Zeugen einer Vergangenheit, deren Spuren bald für immer getilgt sein würden“, wie er in seinem gleichnamigen, im Lukas-Verlag erschienenen Bildband zum Ausdruck bringt. Den Fatalismus einer solchen Interpretation teilt er nicht. Auf seinen mittlerweile mehr als 100 Reisen nach Osteuropa sind ihm Menschen begegnet, die Verbliebenes schützen, restaurieren und wiederaufbauen. Unter anderem diese Aktivisten veranlassen Christian Herrmann zu der Aussage: „Natürlich ist das verbliebene jüdische Erbe weiterhin bedroht, einiges wird verschwinden, aber noch ist nicht alles unwiederbringlich verloren.“

„Grenzland“
bis zum 25. Februar 2024
in der Celler Synagoge
Im Kreise 24
Di-Fr + So 11-16 Uhr

Anke Schlicht
Celler Presse
Fotos: Christian Herrmann, Anna Zolotniuk

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