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„Deutsch und jüdisch zu sein ist kein Widerspruch“

Es ist nur eine Bemerkung am Rande seines überaus informativen und kurzweilig vorgetragenen Referates, aber sie belegt eine Kernaussage des Mitglieds der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover und spannt gleichzeitig einen direkten Bogen zu den Veranstaltern. „Als Sozialdemokrat würde ich nie Benjamin Netanjahu wählen“, sagt der Sozialwissenschaftler Konstantin Seidler vor rund 100 Gästen, die der Einladung des SPD-Ortsvereins Südheide und des Evangelischen Bildungszentrums Hermannsburg gefolgt waren, um den Holocaust-Gedenktag zu begehen.

„Dieser hat eine neue Dimension, ja, eine beklemmende Aktualität erhalten“, betont Dr. Albrecht Schack vor dem Hintergrund der Geschehnisse am 7. Oktober des vergangenen Jahres in seiner Begrüßungsansprache im Namen des Vorbereitungskreises sowie der überparteilichen Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Wie lebt es sich heutzutage in Deutschland als jüdischer Mitbürger? Diese Fragestellung stellten die Organisatoren in den Mittelpunkt ihrer Veranstaltung mit der Überschrift „Die Jüdische Gemeinschaft in Deutschland zwischen Erinnerung und Gegenwart“. Konstantin Seidler, der auch als Lehrbeauftragter an der Universität Hannover tätig ist, gab Antworten, die den durchschnittlichen, sich gar nicht so sehr unterscheidenden Alltag einer jungen jüdischen zu einer nicht-jüdischen Familie und gleichzeitig den Wunsch nach noch mehr Normalität in den Fokus stellten. Schwierigkeiten im Zusammenleben bereiteten die Schablonen in den Köpfen der Menschen, mit denen das jüdische Leben in Deutschland betrachtet werde. „Religion, die Shoah und Israel, mit diesen drei Begriffen werden wir in Gesprächen in Verbindung gebracht.“ Insofern sei er „alltäglich interkulturell und interreligiös unterwegs“. „Deutsch und jüdisch zu sein, ist kein Widerspruch!“, betont der Sozialwissenschaftler und Vater von zwei Söhnen. Die Shoah sei nicht originär jüdisch, sondern deutsch, im deutsch-jüdischen Bewusstsein spiele sie eine große Rolle, aber die Erinnerungskultur dürfe nicht dazu führen, dass das Leben der Gegenwart überlagert werde von geprägten Sichtweisen wie jüdische Menschen als Opfer, als nicht-deutsch, als Verfolgte, die nicht geduldet wurden. „Die jüdischen Gemeinschaften bestehen zu 90 Prozent aus Mitgliedern mit Migrationshintergrund in der Folge des Zerfalls der Sowjetunion und aktuell des Ukraine-Krieges“, erläutert der Wissenschaftler. „Die können Ihnen mehr über den Großvater in der Roten Armee als über die Shoah erzählen.“ Seidler wirbt dafür, mit den vorherrschenden Stereotypen zu brechen, sieht deren sozialpsychologische Auswirkungen, besonders auf die jungen Leute, mit Sorge und kritisiert das in den Medien gezeichnete Bild als unverhältnismäßig: „Das individuelle Leben ist völlig anders.“

Als diese Aussage getroffen wird, ist die Fragestunde in einer Atmosphäre, die der Referent als sehr angenehm empfindet, wie er im Nachgang anmerkt, bereits in vollem Gange. Das Interesse der Zuhörerschaft ist so groß, dass der zeitliche Rahmen überschritten werden würde. Pastor Wilfried Manneke bat um Verständnis. Für eine Antwort, die viel über Konstantin Seidlers Selbstverständnis preisgibt, reichte die Zeit noch. Was er sich denn erhoffe von den Anwesenden, welche Botschaft er habe, sagte er: „Wir sind Niedersachsen!“

Anke Schlicht
Fotos: Anke Schlicht

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