Sonntag, 15. Juni 2025

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„Was für ein Leben!“ – Flucht aus dem KZ-Transportzug am 8. April 1945

„Wie war Altmann gestrickt?“, fragt der Schriftsteller, Lyriker und Rezitator Oskar Ansull im Verlauf der gestrigen Lesung im Schlossinnenhof, in den das Schlosstheater Celle und der Museumsverein Celle gemeinsam eingeladen haben, um eine Geschichte zu erzählen, die eine andere Perspektive einnimmt auf ein dunkles Kapitel der Stadt.

Walter Altmann (1893-1979) war einer der wahrscheinlich 42 Menschen, denen am 8. April 1945 während des Bombenangriffs der Alliierten auf den Celler Bahnhof die letztendlich erfolgreiche Flucht aus dem mit KZ-Häftlingen belegten Güterzug mit Ziel Bergen-Belsen gelang. Rund die Hälfte der 4000 Häftlinge und viele Celler Einwohner starben bei dem Bombardement, ein großer Teil der Überlebenden floh in umliegende Schrebergärten, Wohnhäuser und ins nahe Neustädter Holz. So auch Walter Altmann. „Ich sprang aus dem Zug, rannte in den Wald, ich rannte um mein Leben, um meine Freiheit“, schilderte der gebürtige Berliner die Ereignisse in seinem „Überlebenstagebuch“ „Ohne das Lachen zu verlernen“ aus dem Jahr 1977, das im Verlag Friedrich Nolte Berlin erschienen war.

Er dürfte über eine außergewöhnliche innere Stärke verfügt haben, in größter Gefahr behält er einen kühlen Kopf, stellt strategisches Denken über das natürliche Bedürfnis, nicht alleine zu sein gemäß der gängigen Ansicht, gemeinsam sei man stärker. Zwei französische Mitgefangene, darunter möglicherweise der Resistance-Kämpfer André Rougeyron, hatten es ihm gleichgetan, rufen hinter ihm her, er möge warten. Altmann ignoriert das Gehörte, zu groß erscheint ihm das Risiko, an ihrer KZ-Kleidung erkannt zu werden. Er selbst kann sich des gestreiften Anzugs entledigen, er trägt Zivilkleidung drunter. Altmann war zuletzt in dem Außenlager Holzen des KZs Buchenwald untergebracht. Hier verrichtete er Zwangsarbeit, eine Förstersfrau tat viel Gutes, gab ihm zum Beispiel Hose, Hemd, Zahnbürste, Kompass, ein wenig Geld. Als hätte sie geahnt, dass dem jüdischen gelernten Maßschneider irgendwann die Flucht gelingen würde.

Häufig ist im Zusammenhang mit dem „Massaker von Celle“, das sich am 8. April 1945 im Anschluss an die Bomben der Alliierten ereignete, von den Tätern die Rede: SS, SA, Polizei, Feuerwehr, Militärangehörige, Angehörige der Hitlerjugend und Celler Bürger jagten nur wenige Tage vor der Ankunft der Alliierten die Häftlinge, trieben sie zusammen, erschossen oder erschlugen sie. Die Lesung, die Teil des Begleitprogramms zum aktuellen Schlosstheater-Stück „Durch das Schweigen“ über das Displaced Persons Camp in Bergen-Belsen ist, nähert sich mit den vorgetragenen Passagen aus Altmanns Autobiographie den Ereignissen aus Sicht eines Mannes, dessen Flucht ihm die Freiheit brachte, der Einwohner Celles und Oldaus kennenlernte, von denen einige ihm halfen, andere ihn denunzierten, der die Stimmung wenige Tage vor Kriegsende wahrnehmen konnte. „Die Leute drohten der Feldgendarmerie mit erhobenen Fäusten“, berichtet er ebenso wie über die Sprengungen der Munitionsfabriken im Landkreis. Einige grüßten noch mit „Heil Hitler“, andere nicht mehr.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht Walter Altmann, der in den 1920er Jahren ein sehr bekannter und überaus erfolgreicher Maßschneider und Erfinder gewesen war, zurück nach Berlin. Hier hat er als Kind einer alleinerziehenden Mutter sämtliche Armenviertel der Metropole kennengelernt und von seinem 10. Lebensjahr an seine Kindheit in einem jüdischen Waisenhaus in Pankow verbracht. Die Verhältnisse waren von Strenge und Gewalt geprägt. Ist auch hier eine Antwort auf Ansulls rhetorische Frage, wie Altmann gestrickt gewesen sei, zu finden? Hat ihm die Erfahrung, ins Waisenhaus gesteckt zu werden, obwohl die Mutter lebte, und dort einer feindlichen Umgebung ausgesetzt zu sein, dabei geholfen, die Hölle der Konzentrationslager zu überstehen?

Die Lektüre des Buches „Ohne das Lachen zu verlernen“ könnte bei der Beantwortung helfen. „Allerdings ist es nur noch schwer zu bekommen“, merkt Oskar Ansull an, dem sein Publikum mit langem, intensivem Applaus dankt. Er hat die außergewöhnliche Geschichte eindringlich vermittelt, die Person Walter Altmann nahegebracht. Als das Klatschen verhallt und sich die Kulturinteressierten auf den Heimweg machen, ist aus ihren Reihen zu hören: „Was für ein Leben!“

Anke Schlicht
Redaktion Celler Presse
Foto: Anke Schlicht

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